Auszeichnungen

Die Alice Salomon Hochschule Berlin vergibt zwei Auszeichnungen:

Der Alice Salomon Award wird an Persönlichkeiten verliehen, die im Sinne der Begründerin unserer Hochschule beachtenswerte Beiträge geleistet haben.

Mit dem Alice Salomon Poetik Preis werden Künstlerinnen und Künstler  geehrt, die durch ihre besondere Formensprache und Vielfalt zur Weiterentwicklung der literarischen, visuellen sowie akustischen Künste beitragen und dabei immer interdisziplinär arbeiten und wirken.

Beide Preise werden im jährlichen Wechsel und immer im Rahmen des feierlichen Neujahrsempfangs der Hochschule verliehen.

Alice Salomon Award

Mit dem Alice Salomon Award ehrt die Hochschule Persönlichkeiten, die zur Emanzipation der Frauen*, queeren, trans*, inter* und nonbinary Personen und der Entwicklung der Sozialen Arbeit Herausragendes beigetragen haben und die im übertragenen Sinn das Werk Alice Salomons unter heutigen Bedingungen national oder international weitertragen.

Mit dem Preis will die Hochschule auch dazu beitragen, das Lebenswerk Alice Salomons stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu heben und es in seiner Aktualität und fortdauernden Bedeutung zu würdigen. Der Preis ist mit 6.000 Euro dotiert. Über den_die Preisträger_in entscheidet eine Jury, der folgende Personen angehören:

a. der_die Rektor_in oder seine_ihre Stellvertreter_in
b. ein_eine Vertreter_in der Studiengangsleitungen der Studiengänge der Sozialen Arbeit (Soziale Arbeit, BASA-Online, Praxisforschung in Sozialer Arbeit und Pädagogik)
c. die Frauen*beauftragte
d. zwei weitere Hochschullehrer_innen
e. zwei Student_innen
f. ein externes Mitglied, das sich beruflich in diesem Umfeld engagiert
g. der_die Leiter_in des Alice-Salomon-Archivs

Die Wahl der Mitglieder (d –f) erfolgt im Akademischen Senat, eine Amtszeit beträgt zwei Jahre. Eine Wiederwahl ist zulässig.

Preisträger_innen

Im Rahmen des Neujahrsempfangs der Hochschule wurde am 27. Januar der Alice Salomon Award an die ungarische Forscherin Anna Csongor verliehen. Die Sozialarbeits-Pionierin wurde für ihr Engagement gegen Diskriminierung von marginalisierten Gruppen, inbesondere Rom*nja, ausgezeichnet.

Mit dem Preis ehrt die Hochschule Persönlichkeiten, die zur Emanzipation der Frauen und der Entwicklung der Sozialen Arbeit Herausragendes beigetragen haben und im übertragenen Sinn das Werk Alice Salomons weiterführen. Die Auszeichnung ist mit 6.000 Euro dotiert. Anna Csongor ist Dozentin im Ruhestand an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Eötvös Loránd Universität Budapest (ELTE) sowie Vorsitzende des Kuratoriums der Stiftung Autonómia.

Zum Auftakt der Preisverleihung begrüßte Bettina Völter, Rektorin der ASH Berlin, die geladenen Gäste. In ihrer Neujahrsansprache betonte sie die Bedeutung des Alice Salomon Awards im Hinblick auf die aktuellen Entwicklungen in unserer Gesellschaft: „Wir sind stolz darauf, mit unseren beiden Preisen [Alice Salomon Award und Alice Salomon Poetik Preis, Anm.d.Red.] Persönlichkeiten mit internationaler Reichweite ehren und unterstützen zu können, die sonst nicht so im Rampenlicht stehen und die unsere demokratische Gesellschaft, den Zusammenhalt, die Solidarität, den Frieden, die Diversität, die Bildungsgerechtigkeit, den vielfältigen, interdisziplinären, künstlerischen Ausdruck nachhaltig stärken. Dies ist umso wichtiger als wir in einer Zeit des Kästchendenkens angekommen sind, in einer Zeit, in der wir lernen müssen, Fake News von seriösen Nachrichten und KI-generierte Texte von denen zu unterscheiden, die selbst erdacht sind, in der wir die Hoffnung auf Frieden und kreative, aus unterschiedlichen Perspektiven dialogisch entwickelte Lösungen nicht aufgeben dürfen, obwohl das Ende der Kriege immer aussichtsloser scheint. Wir leben in einer Zeit, in der wir gemeinsam für unsere Demokratie gegen den wachsenden Hass, Rassismus und Antisemitismus sowie gegen jegliche menschenverachtenden Pläne extrem rechter Akteur_innen eintreten müssen.“

Es folgten ein Grußwort von Nadja Zivkovic, Bezirksbürgermeisterin von Marzahn-Hellersdorf, und die Jurybegründung, verlesen von Anja Voss, Prorektorin für Studium, Lehre und Digitalisierung und Mitglied der Jury des Alice Salomon Awards. Die Jury hob hervor, dass Anna Csongor „eine Schlüsselfigur im Programm Armut und Roma der Autonómia Stiftung war, der ersten unabhängigen Stiftung, die nach dem Regimewechsel 1990 in Ungarn Entwicklungsprogramme für Rom*nja und NGOs initiierte.“ Von 1995 bis 2013 leitete Anna Csongor diese Stiftung. Die Jury würdigte außerdem Anna Csongors „entschiedenes Engagement und ihre Pionierarbeit gegen die Sackgassenpraktiken der ungarischen Sozialpolitik – gegen soziale, rassistische und ethnische Diskriminierung“.

Laudator András Nun, der die Stiftung Autonómia seit 2013 leitet und für seine Rede aus Ungarn angereist war, beschrieb das „Vermächtnis“ von Anna Csongor mit folgenden fünf Punkten:

  • Being conscious about our actions.
  • Interfering in power relations
  • One cannot make a difference if there is a credibility deficit.
  • Do not portray to the outside world that everything is bright, and that change is easily achievable!
  • Do not sell yourself!

Für den zweiten Teil der Laudatio war János Ignácz vorgesehen, ein Lehrer und ehemaliger Kollege von Anna Csongor in der Stiftung Autonómia. Aufgrund des Bahnstreiks verspätete er sich leider, so dass Barbara Schäuble, ASH-Professorin und Mitglied der Jury, kurzerhand für ihn einsprang und seine Laudatio verlas. Darin hob János Ignácz hervor: „Anna hat sich von Anfang an für mich eingesetzt, stand immer hinter mir und hat mich unterstützt, wo sie nur konnte. (…) Im Allgemeinen empfinde ich es als sehr wichtig, sich in andere Menschen unabhängig von ihrer Herkunft hineinzuversetzen. Man sollte nicht nur miteinander arbeiten, sondern auch gemeinschaftlich agieren und jeden Einzelnen mit Respekt und Feingefühl behandeln. Nur so gestaltet sich ein friedvolles und respektvolles Miteinander.“

Anna Csongor fühlte sich sehr geehrt, mit dem Alice Salomon Award ausgezeichnet zu werden: „The world is in great need of professionals who are brave, consistent, committed to solving social inequalities, and able to act, such as Alice Salomon. It is an honor to receive the award named after her.” Ihre Dankesrede schloss sie mit folgenden Worten: “Having read her memoirs, I wish we could meet. I think we could talk. I would be very interested in how she would see the way out of the current situation.”

Das Bühnenprogramm begleitete die in Berlin lebende Musikerin Tayo Awosusi-Onutor, die sich selbst als Afro-Sintezza beschreibt. Ihre berührenden Songs, die sie auf Romanes, der Sprache der Sinti*zze und Rom*nja, und auf Deutsch sang, gaben der Preisverleihung die passende Rahmung.

Nach der Preisverleihung lud die Hochschule die Gäste zum gemeinsamen Austausch am Buffet ein.

Mehr zur Preisträgerin in unserer Pressemitteilung.

Die Verleihung des Alice Salomon Awards an die kanadische Sozialwissenschaftlerin Prof. Dr. Adrienne S. Chambon fand am 3. Mai 2022 statt und war eingebettet in eine hochschulweite Festwoche anlässlich des 150. Geburtstags von Alice Salomon.

Adrienne Chambon, emeritierte Professorin der Universität von Toronto, erhielt den mit 6.000 Euro dotierten Engagementpreis für ihren Einsatz u.a. für geflüchtete Menschen, Folteropfer und misshandelte Frauen*, sowie für ihre Verdienste um Theoriebildung, Archivarbeit und emanzipatorische Wissenschaft in der Sozialen Arbeit.

Aufgewachsen in Paris begann Chambon ihre berufliche Karriere in Israel, wo sie in den frühen 1980er-Jahren u.a. in einem Schutzhaus für misshandelte Frauen* in Haifa arbeitete. Auch in ihrer wissenschaftlichen Arbeit und Forschung setzte sie sich stets dafür ein, die Stimmen und Erfahrungen derjenigen sichtbar, hörbar und erlebbar zu machen, um die es in der Sozialen Arbeit geht. So arbeitete sie eng mit Martha Kuwee Kumsa zusammen, einer Oromo-Aktivistin, die in Äthiopien gefoltert worden und 1989 nach Kanada geflohen war. Von weitreichendem Einfluss für Wissenschaftler_innen und Praktiker_innen der Sozialen Arbeit war vor allem ihr 1999 erschienenes Buch „Reading Foucault for Social Work“, das sie gemeinsam mit Allan Irving und Laura Epstein herausgegeben hat.

In enger Verbindung zur Alice Salomon Hochschule steht Adrienne Chambon schon länger: sie war Mitglied des ersten wissenschaftlichen Beirats des Alice Salomon Archivs und hat einen Großteil der aktuellen Forschungsarbeit und -projekte des Archivs persönlich inspiriert. Aktuell ist sie Teil des kreativen Think Tanks, der die Geschichte(n) der Sozialen Arbeit in einer transnationalen Perspektive auf einer Online-Plattform sichtbar machen will – ganz in der Tradition der internationalen und auch transatlantischen Netzwerke von Alice Salomon.

Die Jury begründete ihre Entscheidung wie folgt: „Mit Adrienne Chambon ehren wir eine Person, die sich einerseits als Intellektuelle um die Theoriebildung in der Sozialen Arbeit sehr verdient gemacht hat, deren wissenschaftliche und praktische Arbeit aber immer auch das Politische und Emanzipatorische zum Ziel hatte. Nicht zuletzt hat sie gezeigt, dass die Archivarbeit in der Sozialen Arbeit gestärkt werden sollte, um die Disziplin mit einem kritischen Blick in die Vergangenheit weiterentwickeln zu können.“

Die Preisträgerin selbst sagte: „Alice Salomon ist eine ungemein inspirierende Persönlichkeit. Ich verbinde den Alice Salomon Award mit Salomons Beiträgen als wichtige Gestalterin der Sozialen Arbeit, als begeisterte Pädagogin, phantasievolle Schriftstellerin und politische Intellektuelle. Sie eröffnete Horizonte des Wissens, der Selbstreflexion und der Expertise, die über die Beschränkungen eines nationalen Rahmens weit hinausgingen.“ Ihre Festrede „We need Alice Salomon today“ ist in englischer Sprache hier in voller Länge nachzulesen. Auf dem YouTube Kanal der ASH Berlin ist zudem die gesamte Preisverleihung als Video zu sehen.

Die ASH Berlin hat die Erziehungswissenschaftlerin und Pädagogin Heike Radvan mit dem Alice Salomon Award 2020 ausgezeichnet. Auf dem Neujahrsempfang der Hochschule am Samstag, 11. Januar 2020, in der Berlinischen Galerie nahm die Professorin der Brandenburgisch-Technischen Universität (BTU) Cottbus den mit 6.000 Euro dotierten Preis entgegen.

In der DDR geboren und aufgewachsen, engagiert sich Heike Radvan seit vielen Jahren für antirassistische Praxis, die Rechte von Frauen und die queere Community sowie gegen Antisemitismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.

Die Jury des Alice Salomon Awards würdigt Radvan als eine „außerordentlich engagierte, mutige und innovative Wissenschaftlerin. Heike Radvan ist unbequem (...). Sie setzt Zeichen für eine offene Gesellschaft, eine wehrhafte Demokratie und für eine streitbare Soziale Arbeit."

 

Auf Radvans Studium der Sozialen Arbeit an der ASH Berlin folgte eine 15-jährige Tätigkeit bei der Amadeu Antonio Stiftung. Dort verantwortete sie unter anderem Ausstellungen wie „Das hat‘s bei uns nicht gegeben!“ – Antisemitismus in der DDR und Germany after 1945: A society confronts antisemitism, racism and neo-nazism. In der Stiftung baute sie außerdem die Fachstelle Gender und Rechtsextremismus auf und wies damit früh auf die Rolle von Frauen innerhalb der rechten Szene hin. Mit Gründung des Vereins Lola für Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern etablierte sie diesen Ansatz später auch im ländlichen Raum. Ihr aktuelles Buch trägt den Titel Rechtsextreme Frauen.

Radvan promovierte zum Thema Pädagogisches Handeln und Antisemitismus und setzt ihre Arbeit seit 2017 als Professorin für Methoden und Theorien Sozialer Arbeit an der BTU Cottbus fort. Auch in der brandenburgischen Stadt engagiert sie sich stark für ein demokratisches Gemeinwesen.

 

Am 13. Januar 2018 zeichnete die Alice Salomon Hochschule Berlin die Frauenrechtlerin Urmila Chaudhary mit dem Alice Salomon Award 2018 aus.  Die Preisverleihung fand im Rahmen des Neujahrsempfangs der Hochschule in der Berlinischen Galerie statt.

Urmila Chaudhary, die sichtlich bewegt den Preis entgegen nahm, bedankte sich in einer sehr persönlichen Rede für die Auszeichnung und das Preisgeld in Höhe von 6.000 Euro, welches sie u.a. an die NGO „Freed Kamlari Development Forum“ (FKDF) spenden möchte. Die derzeitige Präsidentin von FKDF, Sunita Chaudhary, begleitete die Preisträgerin und berichtete von ihrer Arbeit bei der NGO und ließ das Publikum an ihrem bewegenden Schicksal teilhaben.

Über den Alice Salomon Award

Mit dem Alice Salomon Award ehrt die Alice Salomon Hochschule Berlin Persönlichkeiten, die zur Emanzipation der Frauen und der Entwicklung der Sozialen Arbeit Herausragendes beigetragen haben und die im übertragenen Sinn das Werk Alice Salomons unter heutigen Bedingungen weiterführen. Zu den bisherigen Preisträgerinnen gehören Rugiatu Neneh Turay, Barbara Lochbihler, Fadéla Amara, Alice Shalvi, Marisela Ortiz und Norma Andrade.

Über die Preisträgerin Urmila Chaudhary

Urmila Chaudhary gehört dem Volk der Tharu an, wächst im Südwesten Nepals auf und ist erst fünf oder sechs Jahre alt, als sie wegen finanzieller Nöte der Familie von ihrem Bruder als Kamalari nach Kathmandu verkauft wird. Kamalari heißt übersetzt „hart arbeitende Frau“. Mädchen zwischen sechs und 16 Jahren werden von ihren Eltern an wohlhabende Familien verkauft oder verliehen. Die Eltern bekommen dafür einen Minimallohn von 40 bis 50 US-Dollar jährlich. Die Mädchen sind Leibeigene, ohne jegliche Rechte. Arbeitstage von 16 Stunden, meistens im Haushalt aber auch in der Landwirtschaft, sind die Regel. Die Schule dürfen sie nicht besuchen.

Auch Urmila Chaudhary blieb jede Schulbildung verwehrt. Autodidaktisch bringt sie sich während ihrer Gefangenschaft das Lesen bei. Als sie etwa 17 Jahre alt ist, kann sie sich befreien: Sie darf ihre Familie besuchen und erfährt zuhause vom „Common Forum for Kamlari Freedom“, einer selbstorganisierten Gruppe von Mädchen, die auf den Straßen ihrer Heimatregion gegen das bestehende Kamalari-Sklavensystem demonstrieren. Urmila schließt sich ihnen an und kehrt nicht mehr nach Kathmandu zurück.

Zum ersten Mal in ihrem Leben darf sie nun eine Schule besuchen. Urmila Chaudhary lernt schnell und fällt innerhalb des Forums auf, da sie bereit ist, über das Geschehene und ihre Gefühle zu sprechen. 2010 gründet sie mit anderen den gemeinnützigen Verein „Freed Kamlari Development Forum“ (FKDF), dessen Präsidentschaft sie später übernimmt. Die Mädchen geben Trauma-Theater-Workshops, planen Empowerment-Kampagnen, organisieren Demonstrationen und befreien durch Aufklärungsarbeit mehr als 13.000 Kamalari aus nepalesischen Haushalten.

Inzwischen ist Urmila Chaudhary von der Präsidentschaft des FKDF zurückgetreten, um sich ihrer eigenen Schulbildung widmen zu können, den Verein unterstützt sie weiterhin aktiv. Ihr großer Traum ist es, Jura zu studieren und als Rechtsanwältin für junge Mädchen in Nepal und deren Zukunftsperspektiven zu kämpfen.

Für ihren Einsatz und als Repräsentantin des „Freed Kamlari Development Forum“ wurde die Frauenrechtlerin mit dem Alice Salomon Award ausgezeichnet.

„Wir wünschen uns, dass unsere Töchter nach (…) der Arbeit nach Hause kommen, denn die Angst jeder Mutter in Ciudad Juárez ist, dass sie ihre Töchter aus dem Haus gehen sehen und nicht wissen, ob sie zurückkehren“, so Marisela Ortiz. Zusammen mit Norma Andrade hat sie die Organisation Nuestras hijas de regreso a casa (NHRC; „Unsere Töchter sollen nach Hause zurückkehren“) gegründet. Am 20. Juni 2013 zeichnete die Alice Salomon Hochschule Berlin die beiden Aktivistinnen mit dem Alice Salomon Award aus. Die Preisverleihung fand im Audimax der Hochschule statt. 

Mord an Frauen aufgrund ihres Geschlechts

In der nordmexikanischen Grenzstadt Ciudad Juarez wurde Anfang der neunziger Jahre alle zwölf Tage eine Frau ermordet, zwanzig Jahre später geschieht dies alle 20 Stunden. Viele der Morde weisen eine große Ähnlichkeit auf. Die Opfer sind vorwiegend junge Frauen, die in den Maquiladoras, den Billiglohnfabriken, arbeiten. Alle werden nach dem gleichen Muster vergewaltigt, verstümmelt und anschließend ermordet.

Fast keiner der Fälle wurde bisher aufgeklärt, da sowohl Polizei als auch Regierung versuchen, die Aufklärung zu verhindern oder die Straftaten zu verharmlosen. Deshalb ist auch nur wenig über die Hintergründe bekannt. Es gibt Hinweise, dass Drogenhändler die Entführung der Opfer in Auftrag geben. Die Organisation NHRC deutet die Frauenmorde als ein Modell des Femizids, also Mord an Frauen aufgrund ihres Geschlechts.

Und eine weitere Besonderheit markiert die soziale Situation der Frauen: Während aus Ciudad Juarez teilweise skandalisierend, teilweise triumphalistisch, je nach Interessenslage von den Morden und Erfolgen im Zusammenhang der Drogenkartelle berichtet wird, gerät die öffentliche Aufmerksamkeit über die Misshandlungen, Vergewaltigungen, Tod und Gewalt an Frauen in den Hintergrund. Umso mehr sind zivilgesellschaftliches Engagement und politische Parteinahme durch die Frauen selbst wichtig und geradezu lebensrettend.

Die Preisträgerinnen Marisela Ortiz und Norma Andrade

Marisela Ortiz und ihre Mitstreiterin Norma Andrade setzen sich für die öffentliche Thematisierung von Gewalt gegen Frauen, die Aufklärung der Frauenmorde und das Ende der Straffreiheit für die Täter ein. Sie unterstützen betroffene Familien und die Kinder der ermordeten Frauen. All das geschieht unter Lebensgefahr – nach Morddrohungen und Anschlägen musste  Marisela Ortiz Mexiko inzwischen verlassen und hat in den USA um Asyl gebeten. Für ihren mutigen Einsatz wurden die Frauenrechtlerinnen, auch stellvertretend für all jene Frauen in der Welt, die sich in diesen Tagen der Gewalt und Unterdrückung widersetzen müssen, im Juni 2013 mit dem Alice Salomon Award ausgezeichnet.

Am 7. Mai 2010 verlieh die Rektorin der ASH Berlin, Prof. Dr. Theda Borde, den Alice Salomon Award 2010 an Rugiatu Neneh Turay aus Sierra Leone im Pestallozi-Fröbel-Haus Berlin.

Die 32-jährige Preisträgerin hat die Frauenrechtsorganisation „Amazonian Initiative Movement“ gegen Genitalverstümmelung gegründet und erhielt den Preis für ihr Engagement gegen die Beschneidung von Mädchen und für die Bildung von Frauen. Sierra Leone, eines der ärmsten Länder weltweit, gehört zu den afrikanischen Ländern, in denen es noch kein Gesetz gegen die Beschneidung gibt. Die Organisation von Rugiatu Neneh Turay bietet Mädchen Schutz, die aus ihrer Familie geflohen sind. In Zusammenarbeit mit Schulen, religiösen Führern und traditionellen Leitern organisieren sie Workshops und Aufklärungsveranstaltungen oder führen Theaterstücke auf und wirken so auf die Veränderung im Denken und Handeln gegen die traditionelle Gewalt gegen Frauen.

Am 29. Mai 2013 hielt Rugiatu Neneh Turay einen Vortrag an der Alice Salomon Hochschule Berlin im Rahmen des Seminars "Poverty and Social Work in Europe and Developing Countries" (Seminarleiterin: Prof. Dr. Christine Labonté-Roset).

Vortrag von Rugiatu Neneh Turay auf Youtube

Der Alice Salomon Award 2008 wurde vergeben an Barbara Lochbihler, Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland.

Die Preisträgerin Barbara Lochbihler, geboren 1959, studierte Sozialpädagogik, Politische Wissenschaften, Volkswirtschaft und Internationales Recht. 1987 bis 1991 arbeitete sie als Persönliche Parlamentsreferentin von Prof. Eleonore Romberg, MdL in Bayern. Anschließend war sie sieben Jahre lang Generalsekretärin der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit in Genf. Seit August 1999 ist sie Generalsekretärin der deutschen Sektion von amnesty international.

Die Verleihung des Alice Salomon Awards fand im Rahmen der 100-Jahrfeier der ASH Berlin am 23.10.2008 im Pestalozzi-Fröbel-Haus in Berlin-Schöneberg statt.

Zur Webseite von Barbara Lochbihler

Fadéla Amara ist die Präsidentin der Association „Ni Putes, Ni Soumises“, die Frauen und junge Mädchen jeglicher Herkunft und jeglichen religiösen Bekenntnisses in den Randbezirken, den „banlieues“, der französischen Städte ermutigt, gegen Ghettoisierung und für Gleichheit, gegen Diskriminierung, Gewalt und für die eigenen Rechte und Freiheit öffentlich aufzutreten.

Weitere Informationen erhalten Sie auf den Seiten des Alice Salomon Archivs.

Alice Shalvi „is considered Israel's most outspoken and active Conservative Jewish feminist, and she is known for persistently challenging Israel's male-dominated establishment in her quest for equal opportunity, equal reward and equal status for women.“ (Brown University News) –

In Essen geboren, emigrierte sie mit 8 Jahren 1934 nach England, studierte in Cambrigde English literature und an der London School of Economics and Political Science Social Work. Seit 1949 lebt sie in Israel. Alice Shalvi, Mutter von sechs Kindern, war bis 1990 Professorin für Englische Literatur und Sprache an der Hebrew University und der Ben Gurion University , leitete 1975-1990 die Pelech Religious Experimental High School for Girls, war 1984-1997 Gründerin und Vorsitzende des israelischen „Women's Network“ und 1999-2000 als erste Frau Rektorin des „Schechter Institute of Jewish Studies“ in Jerusalem, zu dem auch eine Rabbiner Schule gehört. Unter anderem ist sie auch Associate Editor der „Jewish Women: A Comprehensive Historical Encyclopedia“. Sie erhielt viele Auszeichnungen in Israel und den USA und ist Ehrendoktorin der Brown University. 1999 drehte Paula Weinman-Kelman den Film „Rites of Passage“ mit und über Alice Shalvi, er wurde auf dem 6. Jewish Film Festival in Berlin gezeigt.

Weitere Informationen erhalten Sie auf den Seiten des Alice Salomon Archivs.

Alice Salomon Poetik Preis

Mit der Einführung des ersten Masterstudiengangs "Biografisches und Kreatives Schreiben" in Deutschland im Wintersemester 2006/07 vergab die Alice Salomon Hochschule Berlin (ASH) erstmalig den Alice Salomon Poetik Preis. Der Preis ist mit einer Alice Salomon Poetik Dozentur verbunden und wird alle zwei Jahre (bis 2017 jährlich) an Künstlerinnen und Künstler vergeben, die durch ihre besondere Formensprache und Vielfalt zur Weiterentwicklung der literarischen, visuellen sowie akustischen Künste beitragen und dabei immer interdisziplinär arbeiten und wirken. Der Preis ist mit 6.000 Euro dotiert.

Der Masterstudiengang "Biografisches und Kreatives Schreiben" greift die in den USA erforschten gesundheitsfördernden Wirkungen und kreativen Potentiale des Schreibens auf. Er befähigt Studierende Schreibtrainings durchzuführen und mit Schreibgruppen biografisch zu arbeiten.

Die Jury des Alice Salomon Poetik Preises:

  • Prof. Dr. Susanne A. Benner, wissenschaftliche Leiterin des Masterstudiengangs Biografisches und Kreatives Schreiben (BKS) der ASH Berlin, vertreten durch Guido Rademacher, Dozent im Studiengang BKS
  • Prof. Dr. Bettina Völter, Rektorin der ASH Berlin
  • Tom Bresemann, Autor, Mitbegründer und Co-Leiter der Lettrétage
  • Prof. Dr. Johanna Kaiser, Professorin für Soziale Kulturarbeit mit dem Schwerpunkt Theaterarbeit an der ASH Berlin
  • Maxi Obexer, Theaterautorin, Schriftstellerin und aktuelle Preisträgerin des Alice Salomon Poetik Preises
  • Sonja Knecht, Studentin im Studiengang BKS
  • Ute Reimers, Studentin im Studiengang BKS
  • Tim Holland, Autor und Literaturvermittler
  • Andrea Roedig, Publizistin

Preisträger_innen

Im Rahmen des Neujahrsempfangs der Hochschule am Samstagabend des 21.01.2023 wurde der Alice Salomon Poetik Preis an die Südtiroler Theaterautorin und Schriftstellerin Maxi Obexer verliehen. Verbunden ist die Auszeichnung mit einem Preisgeld in Höhe von 6.000 Euro, mit einer Dozentur und mit der Möglichkeit, die Südfassade der Hochschule neu zu gestalten.

Zum Auftakt des Abends begrüßte die Hochschulleitung den vollbesetzten Audimax mit einer Staffelstabübergabe, die den Rektoratswechsel symbolisierte, gefolgt von einem energetischen Grußwort von Armaghan Naghipour, Staatssekretärin für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung. Publizistin Andrea Roedig und Schriftstellerin Ulrike Draesner beleuchteten in Jurybegründung und Laudatio das Werk Obexers. Die Jury zeigte sich besonders beeindruckt davon, dass sich Obexers Texte, die eines der Jurymitglieder im positiven Sinn als „politisch propagandistisch“ bezeichnete, „keiner gefälligen Stilistik beugen. Sie spiegeln vielmehr Obexers eigenwilliges Leiden an der Welt, ihre Wut, ihr Engagement wider. Sie ist auf der Suche.“ Ulrike Draesner hob hervor: „Preisträgerin und Preisgeberin verbindet... der Mut.“

„Den Poetik Preis der Alice Salomon Hochschule empfangen zu dürfen, freut mich sehr und ich fühle mich gleichermaßen geehrt“, sagte Maxi Obexer, „besonders von einer Hochschule wie dieser, die herausragend ist in der Verbindung von sozialer Arbeit und kultureller Vermittlung. Die mit der Namensgebung an die Visionen und das Engagement von Alice Salomon anknüpft und darin einen Maßstab setzt.“ Abgerundet wurde der Abend mit einer Lesung der Preisträgerin und „eleganter, witziger, mondäner, unverschämter und scharfsinniger“ Musik von Bernadette La Hengst.

Mehr zur Preisträgerin in unserer Pressemitteilung.
Die Bilder des Abends finden Sie auf der linken Seite, Texte werden hier zur Verfügung gestellt. Eine Aufzeichnung der Veranstaltung ist in Kürze verfügbar.

Verleihung des Alice Salomon Poetik Preis 2021 anschauen  ►

Existentielle und leibhaftige Beschäftigung mit sozialen, gesundheitlichen und pädagogischen Themen: Lioba Happel.

Die Schriftstellerin ist in Aschaffenburg geboren, studierte Sozialpädagogik, Germanistik und Hispanistik und lebt heute in Berlin und Lausanne. Ihr Werk umfasst u.a. die Erzählungen „Ein Hut wie Saturn“, „dement“, „Die Feindin“, „Lucy oder Warum sind die Menschen so komische Leute“ sowie Gedichtbände, darunter „Grüne Nachmittage“, „Der Schlaf überm Eis“ und „land ohne land“. Neben ihrer umfassenden schriftstellerischen Arbeit leitet sie Deutschkurse, leistet Unterstützungs- und Theaterarbeit an Schulen, betreut Demenzkranke und gibt Stadtführungen.

Die Jury würdigt Happel für „ihre Lebens- eo ipso Schreibthemen, die aus ihrer früheren Arbeit als Studentin der Sozialarbeit, als Pädagogin sowie aus ihrer Arbeit als Pflegekraft von an Demenz erkrankten Menschen resultiert“ und als eine Autorin, die „in ihrer Lyrik und Prosa zum einen durch ihre außergewöhnliche Sprache, Experimentierfreudigkeit sowie durch ihren spezifischen Rhythmus, der auch Liederzyklen evoziert, überzeugen kann.“

Lioba Happel konnte die Jury überzeugen, „weil sie nicht überzeugen will. Ihre Stoffe entspringen keinem Bedürfnis, einer jeweils aktuellen Mode zu entsprechen, sondern einer existentiellen und leibhaftigen Beschäftigung mit sozialen, gesundheitlichen und pädagogischen Themen und nicht zuletzt mit Diskriminierung und Diversity“. Gewürdigt wurde außerdem, dass sich die Autorin „nicht nur ästhetisch auf höchstem Niveau in diesen Sujets bewegt, sondern sich auch interdisziplinär mit Komponist_innen und Musiker_innen ihren Themen nähert, die mitunter auch dramatisch auf der Bühne und/oder in der Theaterarbeit mit Kindern und Jugendlichen verhandelt werden“.

Lioba Happel in Ihrer Dankesrede: „Ich möchte hier in dieser kleinen Dankesrede den Aspekt herausgreifen, den ich für die höchste und schwierigste Kunst innerhalb der sozialen Arbeit, der Pflege, der Erziehung halte: es ist das Helfen. Und ich möchte am Ende die Frage stellen: kann auch Dichtung helfen?“ Ihr Fazit: „Unsere heutige Welt ist durch sich ein brutaler in die Köpfe einnistendes Kosten-Nutzen-Denken in vielerlei Hinsicht verarmt. Die daraus resultierenden Schäden greifen in unsere Wirklichkeit hinein, indem sie das Lebendige umbringt – zumindest stark gefährdet. Die Soziale Arbeit begreift das. Die Dichtung zeigt das.“

Konsequent interdisziplinär – außerordentlich facettenreich – vielseitig kollaborativ: Der Grazer Lyriker und Künstler Christoph Szalay.

1987 in Graz geboren, absolvierte er das Studium der Germanistik an der Universität Graz sowie Kunst im Kontext an der Universität der Künste in Berlin. Er ist Lyriker, Künstler und Kurator sowie seit 2017 Literaturbeauftragter des Forum Stadtpark in Graz. Seine Publikationen sind in verschiedenen Literaturzeitschriften (etwa in LICHTUNGEN), Anthologien (z.B. „Lyrik von Jetzt 3“) und im Rundfunk erschienen. Szalay lebt in Graz.

Die Jury des Alice Salomon Poetik Preises würdigte Szalay als „einen Autor, der seit Beginn seines Schaffens konsequent interdisziplinär arbeitet: Sei es in der Lyrik, Performance oder Erstellung von Installationen.“ Sie ehrte die „unverwechselbare Poetik Christoph Szalays, Techniken und Stilmittel aus anderen Kunstsparten in seinen Texten zu übernehmen – von der Collage aus der Bildenden Kunst bis hin zu Überblendungs- und Cut-Techniken aus dem Film.“

Hervorgehoben wurde dabei der „außerordentliche Facettenreichtum Szalays, der auf meisterliche Art Zitate aus Kunst, Literatur, Rock-Musik und Hip Hop, Alltagssprache und Social Media gleichwertig verwendet, sie in einen neuen Kontext setzt, den Leser irritiert.“ Die Jury unterstrich Christoph Szalays „präzise, rhythmische Sprache, die teils an Spoken Word oder Rap erinnert.“ Dabei finde er stets treffende Bilder und griffige Vergleiche.

Schließlich würdigte die Jury Szalay als lyrischen „Grenzgänger“, der gemeinsam mit unterschiedlichen Kunstschaffenden – u.a. Performance- und Klangkünstlern, Bühnenbildnern sowie Illustratoren – Werke realisiert. Besonders hervorgehoben wurde sein Schaffen als Kurator und Herausgeber: „Mit seiner Auswahl bezieht er auch außerhalb seiner Werke politisch Position, wie etwa mit der Einladung des Autor*innenkollektivs ‚Nazis und Goldmund‘ im Grazer Forum Stadtpark.“

In seiner Dankesrede hob Szalay hervor, dass sich der Preis vor allem an interdisziplinäres Schaffen richtet:
„Ich freue mich, einen Preis entgegennehmen zu dürfen,
der ein Dazwischen formuliert,
Räume und Orte, in denen sich Begrifflichkeiten auflösen,
die sich hybride und nicht normativ lesen lassen,
Räume und Orte, in denen nicht mehr klar ist, was davon ist
Lyrik und was Installation,
was davon gehört in ein Buch, was in eine Galerie, eine
Wand,
auf Stoff,
einen Screen,
einen Körper,
etc.“

Die Alice Salomon Hochschule Berlin verlieh am 28. Januar 2017 in der Berlinischen Galerie den Poetik Preis 2017. Die diesjährige Preisträgerin ist Barbara Köhler.

Barbara Köhler, geboren 1959 in der Nähe der sächsischen Ortschaft Amerika, lebt seit über 20 Jahren als freie Schriftstellerin in Duisburg. Nach ihrem Studium am Leipziger Institut für Literatur Johannes R. Becher arbeitete sie als freie Autorin in Chemnitz und veröffentlichte 1991 ihren ersten Gedichtband „Deutsches Roulette". Seitdem schrieb sie Texte für Kunstzeitschriften und Kataloge, Gedichte, Essays und Übersetzungen. Auch eigene Textinstallationen, Schriftbilder, Audio-Arbeiten sowie temporäre und ständige Arbeiten für öffentlichen Raum und private Gärten zählen zu ihrem umfassenden Werk. Die Kunststiftung NRW ernannte Barbara Köhler 2012 zur Thomas-Kling-Poetikdozentin und veröffentlichte drei Jahre später ihren Gedichtband „Istanbul, zusehends", für den sie 2016 mit dem Peter-Huchel-Preis ausgezeichnet wurde. Zu ihren weiteren Werken zählen „36 Ansichten des Berges Gorwetsch" (2013), „Neufundland" (2012), „Niemands Frau. Gesänge zur Odyssee" (2007) und „Wittgensteins Nichte" (1999).

Die Jury des Alice Salomon Poetik Preises würdigt Köhler als „Sprachkünstlerin", die „mit empathischer Neugier, tief lotender Sprachlust, in Bildern, die eine Unschuld des Blickes hinterfragen (...) eine Kunst schafft, die sich konsequent unserer Zeit stellt. (...)
Sie verfasst Sprachlandschaften und erkundet in ihnen die menschliche Existenz. Ihre Texte sind hochmusikalische Partituren. Ihre Bilder sind so genau wir ihr Blick. (...) Bei ihr wird Polizistanbul zu Resistanbul und schließlich zu Artistanbul – eine Beschwörung der Kunstfreiheit jenseits jeglicher politischer, sozialer oder ästhetischer Doktrin."
Die Jury setzt sich aus Größen der deutschen Kunst- und Literaturszene sowie aus Multiplikatoren der Alice Salomon Hochschule Berlin zusammen.

"Poesie ist eine unhörbare Bewegung der Buchstaben"
Alice Salomon Hochschule Berlin vergibt Poetik Preis an Elfriede Czurda

"Poesie kann dem Publikum nicht mittels Lärm in die Ohren gedröhnt werden, sondern verlangt ihm etwas ab: die Bereitschaft zu hören und zu denken", so die Schriftstellerin Elfriede Czurda, die am 23. Januar 2016 den mit 6.000 Euro dotierten Alice Salomon Poetik Preis verliehen bekommen hat. Die Preisverleihung fand im Rahmen des Neujahrsempfangs der Alice Salomon Hochschule statt. 

Elfriede Czurda, geboren 1946 in Wels, lebt als freie Schriftstellerin in Wien. Nach abgeschlossenem Studium publizierte sie 1974 ihre ersten Texte in der Linzer Zeitschrift „neue texte“, war später mehrere Jahre Lektorin der gleichnamigen Buchedition. Mit „ein griff = eingriff inbegriffen“ veröffentlichte sie 1978 ihr erstes Buch im Rainer Verlag in Berlin. 1980 verlagerte sie ihren Lebensmittelpunkt nach Berlin und kehrte 2007 nach Wien zurück. Sie lebte einige Zeit als Writer in Residence und Gastprofessorin in den USA und in Japan.

Die Jury des Alice Salomon Poetik Preises würdigte Czurda als Künstlerin, die eine „offene, hoch konzentrierte und subtile Poesie zwischen den Künsten geschaffen hat.“ Ihr breit gefächertes Werk umfasst Prosa, Gedichte, Essays sowie visuelle und fotografische Arbeiten, sie schrieb und inszenierte Hörstücke. Zu ihren Werken zählen u.a. die Romane „Kerner. Ein Abenteuerroman“ (1987/2009), „Die Giftmörderinnen“ (1991), „Die Schläferin“ (1997) sowie die Gedichtbände „Das Confuse Compendium“ (1992), „ich, weiß“ (2008), „Dunkelziffer“ (2011) und das „Buch vom Fließen und Stehen“ (2014). „In der Vielfalt ihres Werks vermittelt sie eine Ästhetik des Intermediären – zwischen Poesie und Theorie, Sinnlichkeit und Konzeptualität, Sprachkraft und Unsagbarkeit sowie auch zwischen Text, Bild, Musik und Architektur“, so die Jury weiter. Die Jury setzt sich aus Größen der deutschen Kunst- und Literaturszene sowie aus Multiplikatoren der Alice Salomon Hochschule Berlin zusammen.

Die Poesie hat für Elfriede Czurda einen besonderen Stellenwert: „Das Spektakuläre an dieser Form des Ausdrucks, die sich Poesie nennt, ist die Dynamik der Sprachelemente selbst, eine Bewegung der Laute, der Buchstaben, die sich rätselhaft und trivial zugleich an Dinge heften und von Dingen lösen und so mit größter Leichtigkeit komplexe Vorstellungen prozessieren: ‚ein rascheln ist dort wo ich glaube zu sein‘ als poetologischer Ausgangspunkt, ‚und ein huschen ist dort wo ich hin will‘ (Reinhart Priessnitz). - Diese Vorgänge sind also derart differenziert und minimalistisch, dass sie im Lärm des medialen Rummels so gut wie unhörbar sind.“

Vor diesem Hintergrund, und weil „Poesie ganz und gar und im Wortsinn ohne Grund ist“, sieht Czurda in Poetikpreisen einen „(lebens-?)wichtigen Fingerzeig auf eine der bedeutendsten Kulturtechniken.“

Sprachwitz, Theaterleidenschaft und Soziales Engagement

Am Samstag, den 24. Januar 2015 wurde dem Gründer und langjährigen Leiter des GRIPS Theaters, Volker Ludwig im Rahmen des Neujahrsempfangs der Alice Salomon Hochschule der Poetik Preis 2015 übergeben.

Der Schriftsteller verfasste zahlreiche Stücke und Lieder für Theater, Kabarett, Fernsehen und Rundfunk. Schon während seines Studiums macht er sich als Kabarett- und Liedertexter einen Namen. 1965 gründet er das legendäre politisch-literarische „Reichskabarett“, die satirische Stimme der Berliner Studentenbewegung. Der Aufklärung verpflichtet, entwickelt er dort das emanzipatorische Theater für Kinder, seit 1972 GRIPS Theater genannt. Die Premiere von „Stokkerlok und Millipilli“, 1969 mit seinem Bruder Rainer Hachfeld geschrieben und weltweit nachgespielt, gilt als Geburtsstunde des modernen Kindertheaters.

Für eine schwungvolle Preisverleihung sorgte eine Revue von Liedern, deren Texte von Volker Ludwig stammen. Die Aufführung von Schauspielern und Musikern des GRIPS Theaters entfaltete in den Räumen des Roten Rathauses Ihre ganz eigene Dynamik und spiegelte das vielfältige Schaffen Volker Ludwigs wider: Kabarettistische Stücke aus der Zeit des „Reichskabarett Berlin“, „Mutmach“ - Lieder für Kinder, dynamische Rocksongs für Jugendliche und der „Himmels-Song“ aus seinem Stück „Ab heute heißt Du Sara“ zeigten seine besondere Stärke, das Publikum aufzurütteln: „Mit seinen Stücken schafft er Theater-Kunst für Kinder und Erwachsene, regt sie zum Nachdenken und zur Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt an und setzt auf die Kraft der kritischen Vernunft, ohne mit dem pädagogischen Zeigefinger belehren zu wollen.“, so Jens Stupin, Sprecher der Jury.
Prof. em. Gerhard Fischer, Historiker, Literaturwissenschaftler und Autor des Buches GRIPS. Geschichte eines populären Theaters, 1966-2000 (München 2002), würdigte in seiner Laudatio die gesellschaftliche Bedeutung des Lebenswerkes von Volker Ludwig. Dieser erfinde „Gesellschaftsgeschichten, in denen sich die Schicksale von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen verknüpfen. Diese Geschichten sind niemals nur platte Abbildungen; sie enthalten im Kern stets eine Fabel, die einen Entwurf von Gesellschaft liefert und auf eine utopische Dimension nicht verzichtet. In ihrem Wandel über vier Jahrzehnt hinweg reflektieren diese Theater-Fabeln in exemplarischer Weise ihre Veränderungen in der Lebenswelt, im Zusammenleben der Menschen, in Geschichte.“

Das soziale Engagement des Autors, das sich durch alle Schaffensphasen zog, prädestiniert Volker Ludwig für den Alice Salomon Poetik Preis. „Ich bin glücklich über diesen Preis, ich habe mich selten so verstanden gefühlt“, resümierte Volker Ludwig nach der Preisverleihung. Der mit 6.000.- € dotierte Preis wird jährlich an Künstler/-innen vergeben, die durch ihre besondere Formensprache und Vielfalt zur Weiterentwicklung der literarischen, visuellen sowie akustischen Künste beitragen und dabei immer interdisziplinär arbeiten und wirken.

"Einbildungskraft, die Schönheit in unser Leben schmuggelt"

Alice Salomon Hochschule Berlin vergibt Poetik Preis an Schweizer Schriftsteller, Kabarettist und Liedermacher Franz Hohler

Der mit 6.000 Euro dotierte Alice Salomon Poetik Preis wurde am 18. Januar 2014 an Franz Hohler verliehen. Der Schweizer Schriftsteller, Kabarettist und Liedermacher wurde 1943 in Biel geboren und wuchs in Olten auf. Seit 1965 arbeitet er für Bühne, Radio und Fernsehen, schreibt Erzählungen, Romane, Gedichte, Kabarettprogramme, Theaterstücke und Kinderbücher. Zu seinen Erstlingswerken zählen unter anderem „Das verlorene Gähnen und andere nutzlose Geschichten“ (1967), der Prosaband „Idyllen“ (1970) und der Kinderroman „Tschipo“ (1978). In jüngster Zeit veröffentlichte er die Kinderverse „Es war einmal ein Igel“ (2011), den Erzählband „Der Geisterfahrer“ (2013) und den Roman „Gleis 4“ (2013).

Die Jury, die sich aus Größen der deutschen Kunst- und Literaturszene sowie aus Multiplikatoren der Alice Salomon Hochschule Berlin zusammensetzt, würdigte Hohler als Autor, dessen „formvollendete Sprachkunst den Blick für das Ungewöhnliche und Ungehörige im Alltäglichen [schärft]“. Dabei zeugt der Humor des Poetikpreisträgers „von politischer Moral ebenso wie von Humanität und einer faszinierenden Einbildungskraft, mit der er etwas Schönheit in unser Leben schmuggelt“ so die Jury des Alice Salomon Poetik Preises weiter.

Mit dem Alice Salomon Poetik Preis zeichnet die Alice Salomon Hochschule Berlin Künstlerinnen und Künstler aus, die durch ihre besondere Formensprache und Vielfalt zur Weiterentwicklung der literarischen, visuellen sowie akustischen Künste beitragen und dabei immer interdisziplinär arbeiten und wirken. Die Berliner Hochschule für Soziale Arbeit, Gesundheit sowie Erziehung und Bildung im Kindesalter führte 2007 den Masterstudiengang „Biografisches und Kreatives Schreiben“ ein – im Zuge dessen wurde der Alice Salomon Poetik Preis erstmalig vergeben. Zu den bisherigen Preisträgern gehören Gerhard Rühm, Michael Roes, Rebecca Horn, Valeri Scherstjanoi, Eugen Gomringer, Emine Sevgi Özdamar und Andreas Steinhöfel.

Radikal und tief berührend

Ausgezeichnete Kinder- und Jugendliteratur: Alice Salomon Hochschule Berlin vergibt Poetik Preis an Andreas Steinhöfel

Der mit 6.000 Euro dotierte Alice Salomon Poetik Preis wurde am 12. Januar 2013 im Rahmen des Neujahrsempfangs der Hochschule in der Berlinischen Galerie an Andreas Steinhöfel verliehen.

Andreas Steinhöfel ist Autor zahlreicher, preisgekrönter Kinder- und Jugendbücher. Zu seinen Werken gehören der Bestseller „Die Mitte der Welt“ sowie das Kinderbuch „Rico, Oskar und die Tieferschatten“, das 2009 unter anderem mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde. Aus Steinhöfels Feder stammen ebenfalls zahlreiche Folgen der Kindersendungen „Käpt’n Blaubär Club“ und „Löwenzahn“.
Die Jury, die sich aus Größen der deutschen Kunst- und Literaturszene sowie aus Multiplikatoren der Alice Salomon Hochschule Berlin zusammensetzt, würdigt Steinhöfel als Autor, dessen Werke einzigartig und „bestimmt von einer radikalen und zugleich tief berührenden Menschlichkeit [sind]“. Im Kinder- und Jugendbuchgenre „gehört Andreas Steinhöfel nicht zuletzt mit seiner Arbeit an der Schnittstelle zum Film unzweifelhaft zu den großen Meistern“ so die Jury des Alice Salomon Poetik Preises weiter.

Mit dem Alice Salomon Poetik Preis zeichnet die Alice Salomon Hochschule Berlin Künstlerinnen und Künstler aus, die durch ihre besondere Formensprache und Vielfalt zur Weiterentwicklung der literarischen, visuellen sowie musischen Künste beitragen und dabei immer interdisziplinär arbeiten und wirken. Die Berliner Hochschule für Soziale Arbeit, Gesundheit sowie Erziehung und Bildung im Kindesalter führte 2007 den Masterstudiengang „Biografisches und Kreatives Schreiben“ ein – im Zuge dessen wurde der Alice Salomon Poetik Preis erstmalig vergeben. Zu den bisherigen Preisträgern gehören bedeutende Künstler wie Gerhard Rühm, Michael Roes, Rebecca Horn, Valeri Scherstjanoi, Eugen Gomringer und Emine Sevgi Özdamar.

Auszeichnung für das „Oszillieren zwischen den Kulturen“

Am 14. Januar 2012 hat die Alice Salomon Hochschule Berlin den Alice Salomon Poetik Preis 2012 an Emine Sevgi Özdamar vergeben

Der von der Alice Salomon Hochschule Berlin (ASH Berlin) vergebene Poetik Preis zeichnet alljährlich hervorragende Künstlerinnen und Künstler aus, die in ihrem Werk das Poetische über herkömmliche Sprach-, Kultur- und Genregrenzen erweitert haben. Am 14. Januar 2012 wurde Emine Sevgi Özdamar in der Berlinischen Galerie mit dem Alice Salomon Poetik Preis ausgezeichnet. Die in der Türkei geborene deutsche Schriftstellerin, Schauspielerin und Theaterregisseurin nahm im Alter von zwölf Jahren ihre erste Theaterrolle am Staatstheater Bursa im „Bürger als Edelmann“ von Molière an. 1965 kam sie als 19-Jährige nach Deutschland, ohne Deutsch zu sprechen, und arbeitete zwei Jahre lang in einer West-Berliner Fabrik. Von 1967 bis 1970 besuchte sie die Schauspielschule in Istanbul. Sechs Jahre später nahm sie die Arbeit als Regieassistentin an der Volksbühne in Ost-Berlin auf. Dort arbeitete sie zusammen mit dem Brecht-Schüler und Regisseur Benno Besson und Matthias Langhoff und schrieb erste Theatertexte. Seit 1982 arbeitet Emine Sevgi Özdamar als freie Schriftstellerin. Für ihre Werke erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen wie den Ingeborg-Bachmann-Preis (1991) und den Kleist-Preis (2004). 2006 erschien die Berlin-Istanbul-Trilogie „Sonne auf halbem Weg“, die Özdamars drei große Romane enthält: „Das Leben ist eine Karawanserei, hat zwei Türen, aus einer kam ich rein, aus der anderen ging ich raus“, „Die Brücke vom Goldenen Horn“ und „Seltsame Sterne starren zur Erde“.

Die Begründung der Jury

Die Jury des Alice Salomon Poetik Preises ehrt Özdamar als eine Autorin, die „mit Phantasie, Humor und Selbstironie nach Um- und Auswegen aus der Sprachlosigkeit sucht und auch nicht davor zurück schreckt, sich zur Not den Weg einfach frei zu sprengen.“ Weiter begründet die Jury, dass Emine Sevgi Özdamar „einen besonderen Weg geht, der das Oszillieren zwischen den Kulturen und künstlerischen Genres als große Freiheit und Chance für etwas Neues begreift. Dieses Neue äußert sich in einer eigenen erfindungsreichen und künstlerisch höchst anspruchsvollen Sprache, die auch vor dem (noch) Unsagbaren nicht resigniert.“ Prof. Dr. Theda Borde, Rektorin der ASH Berlin, meint: „Emine Sevgi Özdamar hat durch ihre Migrationserfahrung und durch die Auseinandersetzung mit Verschiedenheit Neues geschaffen und spiegelt damit auch einen der Leitsätze unserer Hochschule wider.“ Die Laudatio hielt Dr. Harald Jähner, Ressortleiter Feuilleton bei der Berliner Zeitung. Musikalisch umrahmt wurde die Preisverleihung von dem Pianisten Fritz Kaas, der auch als Gastdozent an der Akdeniz Universität in Antalya tätig ist.

Poetische Hochschule – Auszeichnung für Initiator der konkreten Poesie

Am 22. Januar 2011 hat die Alice Salomon Hochschule Berlin den Alice Salomon Poetik Preis 2011 an Eugen Gomringer vergeben

Einer der bedeutendsten Autoren der deutschen Gegenwartsliteratur, Prof. Eugen Gomringer wurde am 22. Januar 2011 um 19 Uhr in der Berlinischen Galerie von der Alice Salomon Hochschule im Rahmen des Neujahrsempfangs mit dem Alice Salomon Poetik Preis 2011 ausgezeichnet. Der Preis ist mit 6.000 Euro dotiert und wird jährlich vergeben.
Der PreisträgerEugen Gomringer, Preisträger des Poetik Preises 2011 ist der Initiator und zugleich prominentester Vertreter der konkreten Poesie. Der Begriff der konkreten Poesie wurde von Gomringer selbst geprägt und beschreibt eine Richtung der Lyrik, die das „Sprachmaterial“ in den Vordergrund stellt und durch besondere Anordnungen der Buchstaben und Wörter eine eigene künstlerische Realität erschafft. Oft werden so Bedeutungsinhalte visualisiert. Die Gedichte Gomringers gehören zum Kanon der modernen Lyrik und finden sich in Lesebüchern und Literaturgeschichten. Und auch in Lehrbüchern des gymnasialen Deutschunterrichts ist Gomringer in Form von Auszügen seiner kunsttheoretischen Schriften vertreten.

Die Jury, die aus Multiplikatoren der Hochschule, Größen der deutschen Kunst- und Literaturszene sowie dem Preisträger des Vorjahres besteht, ehrt Gomringer als „einen Künstler, der wesentliche Kapitel avancierter Kunst und Literatur mit geschrieben und sich wie kaum ein anderer um die Transparenz und gegenseitige Verschränkung der Einzelkünste verdient gemacht hat.“ Weiter begründet die Jury, dass Eugen Gomringer eine Programmatik der Konkreten Poesie entwickelte und damit nach für einen „Quantensprung in der Sprachkunst“ gesorgt hat. Prof. Dr. Theda Borde, Rektorin der Hochschule stellt vor allem den interdisziplinären Charakter seiner Werke in den Vordergrund: „Die Interdisziplinarität Gomringers ist faszinierend und spiegelt die vielfältigen Studiengänge und damit miteinander verbunden Disziplinen unserer Hochschule wider“, so Borde.

Der Alice Salomon-Poetik-Preis geht im Jahr 2010 an den seit langem in Deutschland lebenden russischen Schreib- und Vortragskünstler, Lautdichter, Erzähler und Hörspielautor Valeri Scherstjanoi.

Zur Begründung teilt die Jury mit:

„Der Preis würdigt Valeri Scherstjanoi als künstlerische Ausnahmeerscheinung und einen seltenen Meister der Zwischenbereiche. Immer ist er in Bewegung zwischen den Sprachen und den Künsten, zwischen Tradition und Innovation, ästhetischer und vermittelnder Tätigkeit. In seinem ‚Lautland‘ entwickelt sich eine ganz eigenständige feinsinnige Sprachkunst in der engen Verbindung von Schreiben, Zeichnen und Artikulieren. Dabei speist sie sich aus einer Vielzahl sprachlicher Einflüsse und aus der versuchenden Selbstbeobachtung des eigenen poetischen Möglichkeitsraums. Darüber hinaus überliefert Scherstjanoi als Experte und Vermittler die russischen und europäischen Poesie-Avantgarden, vor denen sein eigenes Werk zu verstehen ist.“

Valeri Scherstjanoi wurde 1950 in Sagis, in Kasachstan, dem Verbannungsort seiner Eltern geboren und wuchs in der südrussischen Gegend von Krasnodar am Schwarzen Meer auf. Nach dem Schulbesuch studierte er dort von 1971-76 Germanistik. Seit 1968 hat er eigene Gedichte und Texte der russischen Futuristen vorgetragen. Ende 1979 siedelte er in die DDR über und lebt seit 1981 in Berlin. Scherstjanoi war Gast zahlreicher Poesiefestivals in aller Welt. International wurde seine visuelle Kunst in vielen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt. Er war Mitglied des Bielefelder Colloquiums Neue Poesie. Publiziert hat er zahlreiche Künstlerbücher, die meisten im Berliner Hybriden Verlag, Prosa und CDs sowie Editionen russischer Avantgarde; es entstanden Radioarbeiten für den Bayerischen, Süddeutschen und Westdeutschen Rundfunk. Eine Werkschau erschien unter dem Titel „Lauter Scherben“ (Norderstedt 2008).

Weiteres ist zu erfahren unter www.lautland.de.

Die Hochschule ist stolz, den diesjährigen Alice Salomon Poetik Preis an Rebecca Horn verliehen zu haben. Die Laudatio hielt Joachim Sartorius, Intendant der Berliner Festspiele. Musikalisch begleitet wurde die Festveranstaltung von Hayden Chisholm.

Für den Preis konnte die Hochschule in diesem Jahr folgende externe Juroren gewinnen:
Friedrich Block, Kurator der Stiftung Brückner-Kühner;
Michael Roes (Preisträger 2006) stellv. für Gerhard Rühm (Preisträger 2007)
und Thomas Wohlfahrt, Direktor der Literaturwerkstatt Berlin.
Die ASH Berlin wurde vertreten durch: Christine Labonté-Roset und Klaus Mischon.

Gerhard Rühm ist Musiker, Poet und Bildender Künstler, lebt in Köln und wird gerne als Klassiker der Moderne bezeichnet. Im Juli 2007 erscheint der zweite Band seiner Werkausgabe im Parthas Verlag, Berlin.

"Gerhard Rühm ist einer der bedeutendsten Künstler dieses Jahrhunderts. Hoher künstlerischer Ernst, Unbeirrbarkeit und Konsequenz, Ideenreichtum und Humor zeichnen ihn seit seinen Anfängen aus. Sein Anspruch als Künstler ist stets der höchste, und er wird ihm in glänzender Weise in jedem einzelnen Werk gerecht. Kompromisse kennt er nicht. Einzigartig mutet seine Mehrfachbegabung an: er beherrscht die Kunst der Musik, von seinen frühen »Eintonstücken«bis zu seinen hinreißenden Chansons; die Dichtkunst ohnehin, von seinen Lautgedichten bis zum meisterhaften Sonettenkranz, von seinen gewichtigen Beiträgen zur konkreten Poesie bis zu seinen erstaunlichen Leistungen in den Sparten Prosa, Bühnenstück und Hörspiel; schließlich beeindruckt er durch sein kühnes grafisches Werk. Er arbeitet also in drei voneinander abgrenzbaren Gattungen, tut dies aber in einer Weise, dass die Grenzen durchlässig werden oder überhaupt aufgehoben scheinen." (Ernst Jandl) Die Worte stammen von Ernst Jandl, einem engen Wegbegleiter Rühms des Künstlers Gerhard Rühm.

"Radikaler Komponist"

Gerhard Rühm, 1930 in Wien geboren und Preisträger des diesjährigen Poetikpreises der Alice Salomon Hochschule Berlin, gehörte in den 50er Jahren zur Wiener Gruppe um H.C. Artman und Oswald Wiener. Als "radikaler Komponist" war er in den Wiener Kunst- und Musikzirkeln bald bekannt und grenzte sich mit interdisziplinären Text-, Bild- und Darstellungsexperimenten gegen das allseitig konservative Klima in Österreich ab.

Interdisziplinäre Vorstellung der Künste

Nachdem er in Deutschland mit seinen Collagen, Montagen und visuellen Texten erfolgreich als bildender Künstler wahrgenommen wurde, berief ihn die Staatliche Kunsthochschule Hamburg 1972 als Professor für freie Grafik. Das Amt hatte er bis zu seiner Emeritierung 1996 inne. Ob »visuelle musik« oder »auditive poesie«, das Werk von Gerhard Rühm basiert auf der Umsetzung einer absolut interdisziplinären Vorstellung der Künste.

Der Poesie Gerhard Rühms kann man in all seinen Werken begegnen, ob sie nun gemalt, gezeichnet, geschrieben oder vertont sind, ob sie hörbar, lesbar oder gar nicht sind, sie sind dennoch immer begreifbar oder besser gesagt erfahrbar. Rühm stellt jedem Rezipienten die Aufgabe, seinen Geist und seinen Körper für Lockerungsübungen der Sinne bereitzuhalten.

Akustische Umsetzung visueller Zeichen

Es geht Gerhard Rühm immer um die akustische Konkretisierung von Lauten, Silben, Wörtern und um die akustische Umsetzung der visuellen Zeichen und Zeichenfolgen, das, was man optische Lautkonstellation nennen könnte. Leider besteht bis heute das Vorurteil, die literarische Avantgarde lebe zwar noch, sei aber in die Jahre gekommen. Gerhard Rühm tritt bis heute den Gegenbeweis an. Vielleicht ist er gar ihr letzter Vertreter.
Das eigene Werk führt der überaus produktive (knapp achtzigjährige) Autor weiter fort, so dass noch einiges zu erwarten ist. Sein Gesamtwerk verweigert sich der Vorstellung von der linearen Entwicklung eines Lebenswerks. Im Gegenteil, Gerhard Rühm arbeitet weiter an verschiedenen methodischen wie motivischen Perspektiven.

Weitere Ehrungen und Preise

Als österreichische Ehrungen durfte Gerhard Rühm 1984 den Würdigungspreis der Stadt Wien für Literatur und 1986 die Übersetzerprämie des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst entgegen nehmen. 1991 erhielt er die Ehrenmedaille in Gold der Stadt Wien und den Großen Staatspreis für Literatur. Zuletzt erhielt er im Frühjahr 2007 das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien.

Michael Roes hat als Poet, Romancier, Filmemacher und als Kundiger in der Lehre ein exzellentes und provokantes Werk hervorgebracht. Die Rektorin der ASH Berlin - Prof. Dr. Christine Labonté-Roset - und eine Jury haben ihn für den Preis ausgewählt.

Michael Roes wurde 1960 in Rhede am Niederrhein geboren. Nach dem Abitur studierte er Psychologie, Philosophie und Germanistik an der Freien Universität Berlin, wo er 1985 sein Diplom in Psychologie machte. Von 1985 bis 1989 war er Regie- und Dramaturgieassistent an der Berliner Schaubühne und an den Münchner Kammerspielen. Es folgte ein Studienaufenthalt in der Wüste Negev. 1991 promovierte Roes mit einer Arbeit über Isaak und das Sohnesopfer zum Doktor der Philosophie.

1993 bis 1994 hielt er sich studienhalber in der jemenitischen Wüste auf; seine dortigen ethnologischen Studien verarbeitete er in dem Roman "Rub' al-Khali". Er unternahm weitere Forschungsreisen in die Vereinigten Staaten und nach Afrika, die ihn jeweils zu neuen Werken anregten. 2001 entstand unter seiner Regie im Jemen eine filmische Neubearbeitung von Shakespeares "Macbeth", 2003 der Dokumentarfilm "Stadt des Glücks" über die heutige algerische Jugend, und 2004 der Spielfilm "Timimoun", eine moderne algerische "Orestie".

Michael Roes' Werk, das u.a. in der Tradition von Bruce Chatwin und Hubert Fichte steht, umfasst Romane, Gedichte, Theaterstücke und Hörspiele. Zentrale Themen sind die Begegnung mit dem Fremden und die Verständigungsschwierigkeiten bei solchen Begegnungen. Neben verschiedenen Stipendien erhielt Roes 1992 den Förderpreis zum Else-Lasker-Schüler-Dramatikerpreis und 1997 den Bremer Literaturpreis.

C. W. Müller Preis

Der C.W. Müller Preis wird erstmals in 2024 verliehen und soll Studienabschlussprojekte auf Masterebene würdigen, die Theorie und Praxis in kreativer Weise verbinden. Ein besonderes Augenmerk liegt – ganz im Sinne C.W. Müllers – auf deren unterhaltsamer Präsentation.
Der Preis ist mit 2000 Euro dotiert und wurde durch eine Spende von Christiane Müller-Wichmann, der Ehefrau von C.W. Müller, ins Leben gerufen.
Bewerben können sich alle Hochschulangehörigen, deren Projekte theoretische Kenntnisse mit praktischer Umsetzung vereinen. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Vorbereitung für zukünftige Promotionsvorhaben oder Projektanträge, die einen interessanten Beitrag zur Wissenschaft und Gesellschaft leisten. Die Jury würdigt insbesondere Einreichungen mit ausgeprägter Umsetzungsorientierung in Bezug auf Community Organisation und innovative Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen.