ohne Gruppe
Sich mit Stigma oder mit dem „Umgang mit Stigma“, dem „Stigmatisieren“, dem „Selbststigmatisieren“ etc. zu beschäftigen, öffnet – so die Arbeitsthese Seminars gedankliche Perspektiven, die mit anderen Begriffen, wie z.B. Diskriminierung etc., verstellt werden können. Wer mit einem Stigma lebt oder für selbst befindet, mit einem solchen zu leben – kann nicht ohne Weiteres auf eine Abhilfe durch eine Veränderung der „gesellschaftlichen Strukturen“ oder eine Empowerment-Maßnahme hoffen. Im Gegenteil – die Verletzung, die eine stigmatisierte Person – sitzt so tief, dass sie vermutlich kaum erreicht werden kann. Manchmal sogar tragen professionelle Helfer_innen zur Stigmatisierung sogar bei. Auch wenn die negativen Vorstellungen, die mit einem Stigma verbunden sind, durch die soziale Wahrnehmung und dasjenige geschaffen wird, was „Diskurs“ genannt wird, hinterlässt das Stigma eine „Spur“, eine „Wunde“, eine „Narbe“, die eine stigmatisierte Person spürt – und vielleicht gerade dann, besonders empfindet, wenn Nichtstigmatisierte durch ihr Handeln die Differenz zwischen stigmatisierten und der nicht-stigmatisierten Person „bearbeiten“ wollen.
Um das zentrale Argument mit einem mehr als anschaulichem Beispiel zu verdeutlichen. Die Brandwunde, die ein Sklavenhalter oder ein Folterer, einem Körper zufügt, wird nicht in Gestalt einer Narbe zum Stigma. Sie wird zum Stigma durch die soziale Wahrnehmung, die über die ästhetische Bewertung (Narben seien vermeintlich „häßlich“) hinaus den betreffenden als Sklavin oder Regimegegnerin identifiziert. Unauslöschbar – und durch keine – wie auch immer geartete gesellschaftliche Veränderung, Therapie, etc. – wird die Verletzung zum Stigma, weil die stigmatisierte Person die Narbe vermutlich bis an das Ende des Lebens spüren wird.
Als Erkenntnisziele verfolgt dieses Seminar:
a) kollektive und singuläre Stigmatisierungsprozesse zu verstehen.
b) Einsichten gewinnen, wie professionelle (!) Helfer_innen Gefahr laufen, zu stigmatisieren,
c) die Wechselwirkung zwischen symbolischen Identitätskonstruktionen („beschädigte Identität“) und körperlichen Spuren zu erkennen.
d) die Möglichkeiten und insbesondere auch die Grenzen der (Sozial-)Pädagogik auszuloten.
e) Eine kleine Übersicht über „Anti-Stigma-Programme“ zu gewinnen.
Als Arbeitsweise schlagen wir vor: Das Seminar besteht aus drei didaktischen Elementen. Sandra Karollus und Holger Braun leiten das jeweilige Treffen mit einem Vortrag ein. Dieser endet unwillkürlich mit Fragen. Danach wird den Seminarteilnehmer_innen Zeit gelassen, sich schriftlich dazu zu äußern: kritisieren. Abschließend werden die Antworten besprochen und diskutiert.
Erwerb eines Anwesenheitsscheines: 10 schriftliche Antworten.
Literatur:
Thornicroft, Graham; Rose, Diana; Kassam, Aliya; Sartorius, Norman (2007): Stigma ignorance, prejudice or discrimination? In: The British journal of psychiatry : the journal of mental science 190, S. 192.
Uhlig, Anne C. (2012): Gehörlosigkeit als Stigma. In: Anne C. Uhlig (Hg.): Ethnographie der Gehörlosen. Kultur - Kommunikation - Gemeinschaft. Bielefeld: Transcript (Kultur und soziale Praxis), 215-213. |