Kommentar |
ohne Gruppe
Das Studium der Sozialen Arbeit adressiert das Thema Behinderung und Dis_Ability nur selten direkt – in der Praxis begegnen Sozialarbeiter*innen diesem Thema allerdings ständig. Denn in allen Themenfeldern der Sozialen Arbeit spielen körperliche, geistige und psychische Beeinträchtigungen eine große Rolle, stehen gesellschaftliche Marginalisierung und Behinderung in Wechselwirkung mit miteinander. Stigmatisierungen, Othering und Diskriminierungen sind Kernthemen der Sozialen Arbeit, und sie verlaufen entlang von Körper, Geist und Psyche. Grund genug, das Thema Be- und Enthinderung aus der Perspektive der Sozialen Arbeit und der Disability Studies zu vertiefen. Letztere bilden einen transdisziplinären Ansatz, der Behinderung nicht als rein körperliches Geschehen, sondern als ein gesellschaftliches Produkt versteht. Mit ihrem Fokus auf Barrieren, Diskriminierung und Ableismus schließen sich die Disability Studies an die globale Behindertenbewegung an, die in ihrem Schlachtruf „Wir sind nicht behindert, wir werden behindert” das soziale Modell der Behinderung auf den Punkt bringt.
Im Anschluss an diese Ausgangspunkte beleuchtet diese Theorie-Praxis-Vertiefung die Lebensbedingungen behinderter Menschen aus gesellschaftswissenschaftlicher, historischer, kultureller und psychologischer Sicht. Im Hintergrund steht ein politischer Begriff von Behinderung, der behinderte Menschen als Subjekte von Menschenrechten und Emanzipation begreift. Dabei wird ein breiter Behinderungsbegriff genutzt, der auch auf nicht-sichtbare Behinderungen, chronische Krankheiten und passing eingeht und immer wieder einen Bezug zu Normalität und Normalisierungsprozessen herstellt. In einer Vielfalt von Texten (teils theoretisch, teils der praxisbezogen), biographischen Erzählungen, Videos, Interviews und mittels Exkursionen und Gästeeinladungen vertieft das Seminar Modelle und Definitionen von Behinderung, beleuchtet Ableismus und seinen Auswirkungen auf struktureller, institutioneller, inter-/subjektiver und sprachlich-kultureller Ebene. Darüber hinaus wird das intersektionale Zusammenwirken von Nicht_Behinderung mit Gender, Migration und Fluchterfahrung, Sexualität und Klasse thematisiert. Außerdem legt das Seminar einen Schwerpunkt auf die historische Fundierung aktueller Diskurse zu Teilhabe und Menschenrechten behinderter Menschen und auf die Verknüpfung mit der Geschichte der Sozialen Arbeit allgemein. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Geschichte der Eugenik und „Euthanasie” im Nationalsozialismus, sowie auf der deutschen und internationalen Geschichte der Behindertenbewegung. Ziel ist die Entwicklung von sozialarbeiterischen Handlungskompetenzen in Bezug auf Behinderung, Dis_Ability, Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe.
Das Seminar hat Werkstattcharakter. Gemeinsam werden Texte gelesen und analysiert, Präsentationen gehalten und diskutiert, genauso wie Filmsequenzen und Videos. Die Analysen und Diskussionen finden vielfach in Gruppenarbeit statt. |