Kommentar |
Jugendhilfe zwischen Aushandlungsprozess, Technologiedefizit und Wirksamkeitsdiskurs
Jugendhilfe sollte sich auch unter Effizienzgesichtspunkten entsprechend weiterqualifizieren; dringend muss die Lücke im Bereich der Jugendhilfe-Wirkungsforschung geschlossen werden; Jugendhilfe muss ihre Erfolge auch mit harten Fakten beweiskräftiger machen. So formulierte es die schwarz-rote Koalition 2005 in ihrem Koalitionsvertrag (S.108) und griff damit in ungewohnter Weise in einen wissenschaftlichen Streit ein: Kann man Wirkungen von Sozialer Arbeit, von Beziehungsarbeit, von Erziehung identifizieren und messen? Obwohl diese Forderung in der Fachwelt hart umstritten ist, wird ihr politisch seit 2006 durch ein umfangreiches Bundesmodellprogramm Wirkungsorientierte Jugendhilfe Nachdruck verliehen.
Zum Hintergrund: Während die Fachdebatten der Sozialen Arbeit in den 70er Jahren vom Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit und in den 80er / 90er Jahren von der Pluralisierung von Lebenslagen und Individualisierung von Lebensführung geprägt waren, nahm in den 90er Jahren die Ökonomisierung eine zentrale Rolle in der Weiterentwicklung der Sozialen Arbeit ein. Die Einführung betriebswirtschaftlicher Sprach- und Denkweisen, die Anforderung an die Soziale Arbeit, ihr Handeln, ihre Kosten und ihre Wirkungen darzulegen und sich in ihren Strukturen an kapitalwirtschaftlichen Unternehmen zu orientieren, war von Beginn an ein zweischneidiges Schwert. Es gab fachliche Herausforderungen und Weiterentwicklungen in den Bereichen Organisationsentwicklung, Qualitätsentwicklung und Evaluation, die jedoch schon bald in den Rahmen von Kostensenkungs- und Kostenvermeidungsanforderungen gestellt wurden. Vor allem aber war die Passung dieser Konzepte für die Soziale Arbeit von Anfang an fachlich umstritten. Kann man Angebote der Jugendhilfe, so genannte Beziehungsarbeit, in Produktkataloge pressen? Kann man Wirkungen Sozialer Arbeit messen? Welche Zusammenhänge werden in der Wirkungsdebatte zur Legitimierung der Sozialen Arbeit und der dafür notwendigen finanziellen Ausstattung hergestellt? Und: Was verstehen die Diskutant/innen überhaupt unter Wirkung?
Folgt man den Arbeiten von Luhmann und Schorr zum Technologiedefizit der Erziehung, so ist vor kausalen Ursache-Wirkungs-Modellen in der Sozialen Arbeit zu warnen. Auch die Rolle der Betroffenen ist im Wirksamkeitsdiskurs umstritten: Welches sind die Folgerungen, die aus der Wirksamkeitsdebatte gezogen werden sollen? Wird Hilfeplanung auf diese Weise zu einem expertokratischen Entscheidungsverfahren für die kostengünstige und potentiell wirksame Hilfe? Aus Nutzersicht wird kritisiert, Betroffene würden ihrer Partizipationsrechte beraubt und der Wirksamkeitsdiskurs würde ihre Rolle als Ko-Produzenten ignorieren.
Im Seminar werden wir uns mit der aktuellen Debatte um Wirksamkeitsnachweise in der Jugendhilfe (exemplarisch für die Soziale Arbeit insgesamt) auseinander setzen und anhand von Texten die Positionen und Argumente nachvollziehen und diskutieren. Ziel ist es, grundlegende Aspekte der Struktur von Sozialer Arbeit und Erziehung theoretisch zu vertiefen und auf dieser Grundlage eine fundierte fachliche Position zur aktuellen Debatte um Wirkungsorientierung in der Sozialen Arbeit und zur damit verbundenen Forschung zu entwickeln.
Ein Seminarreader wird zur Verfügung gestellt. |