Forschung, Hochschulleben #4GenderStudies: Empowerte Sexualpädagogik – von, mit und für BIPOC

Nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Lehre nehmen Gender Studies eine bedeutende Rolle an der ASH Berlin ein.

Lesen Sie hierzu eine Reflexion von Studierenden der ASH Berlin zu einem Gastvortrag von Prof. Dr. Maisha-Maureen Auma:

Im Sommersemester 2020 fand die Ringvorlesung „Queer-feministische Sexualpädagogik weiter denken“ statt. Sie war Ergebnis eines knapp zwei Jahre langen Projekts im BA Soziale Arbeit und wurde pandemiebedingt im Onlineformat durchgeführt. Eine Referentin war Prof. Dr. Maisha-Maureen Auma, die zum Thema „Empowerte Sexualpädagogik – von, mit und für BIPoC*“ sprach. Ihr Vortrag selbst war empowernd und sensibilisierte mit Fragen wie der, wie wir west- und weißzentrische Konzeptionen von sexueller Bildung dekolonial bearbeiten und restrukturieren können. Einige Studierende der Vorbereitungsgruppe dieser Veranstaltung halten im Folgenden fest, was sie aus dem Vortrag für die pädagogische Praxis mitgenommen haben:

Die Sexualpädagogik in der BRD hat ein Rassismusproblem - mit dieser These sind wir in die Vorbereitung der Veranstaltung mit Maisha-Maureen Auma eingestiegen. Aumas Vortrag begann mit einer Analyse dessen, was das konkret bedeutet: Marginalisierende und dehumanisierende Repräsentationen von BIPoC, ob in Sprache oder Bildern, sind in sexualpädagogischen Materialien noch immer die Normalität. Jugendliche of Color, Schwarze Jugendliche und migrantisierte Jugendliche werden beispielsweise in Materialien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung auf kulturalisierende Weise adressiert und (nicht) repräsentiert; sie werden in eine hetero- und cisnormative Erzählung eingefasst, die sie als „‚Gegenüber‘ der weißen Sexualität“, so Auma, konstruiert. Gleichzeitig wird Rassismus als gesellschaftliches Machtverhältnis in Materialien und Konzepten der Sexualpädagogik (wie auch im hegemonialen Selbstbild der weißen deutschen Dominanzgesellschaft) ausgeklammert.

Sexuelle Bildung für alle ermöglichen

Maisha-Maureen Auma betonte in ihrem Gegenentwurf von sexueller Bildung als Möglichkeitsraum für BIPoC-Empowerment die Notwendigkeit, pädagogische Konzepte sexueller Bildung zu dekolonisieren und von Institutionen einzufordern, sexuelle Bildung für alle zu ermöglichen.

Konkret geht es dabei um einen subjektzentrierten Zugang zu sexueller Bildung und die Stärkung marginalisierter Weltauslegungen, die innerhalb von west- und weißzentrischen Bildungsinstitutionen keine formelle Anerkennung finden. Das Sexualitätswissen marginalisierter Menschen ins Zentrum zu holen und BIPoC als sexuelle Subjekte in ihrer Diversität ernst zu nehmen bedeutet, marginalisierte Perspektiven konsequent in alle Bereiche der Sexualpädagogik einzubeziehen, Mechanismen zu analysieren, die bestimmte Subjektpositionen an den Rändern fixieren.

Aus Maisha-Maureen Aumas Vortrag ergeben sich für uns konkrete Fragestellungen, die wir mit in unsere pädagogische Praxis nehmen:

  • Wie homogen oder heterogen sind unsere pädagogischen Teams aufgestellt?
    Denn „nur Menschen mit dominanzgeprägten oder überwiegend dominanzgeprägten Anteilen in sexualpädagogischen Teams (zu) haben und dann (zu) denken, dass von ihnen erstellte Inhalte für ein hyperdiverses Publikum in einer Schulklasse funktionieren“ sei laut Auma eine Illusion.
  • Was sind die erlebten Lebensrealitäten und Marginalisierungsrealitäten von (mehrfach)marginalisierten Menschen und welches Sexualitätswissen bringen sie mit? Wie kann ich Lerngegenstände persönlich bedeutsam machen, indem ich diese Erfahrungen und Wissensformen anerkenne?
  • Wem ermöglichen die Materialien und Methoden, die ich verwende, einen positiven und lustvollen Selbst- und Weltbezug?
  • Welche Materialien oder pädagogischen Konzepte ermöglichen (mehrfach)marginalisierten Menschen, einen positiven Selbst- und Weltbezug aufzubauen? Welche Vorbilder finde ich dafür z.B. in Kulturproduktionen wie Filmen oder Blogs, die von queeren BIPoC produziert werden?
  • Welche „schädlichen Routinen“ sind Teil der pädagogischen Arbeit in Institutionen, in denen ich im Bereich sexueller Bildung tätig werde? In welcher Form festigen diese Routinen Mechanismen der Stigmatisierung, Marginalisierung und Dehumanisierung von marginalisierten Gruppen?

Ein Beispiel dafür kann die wiederkehrende, nicht begründete oder kontextualisierte Bezugnahme auf das Merkmal „Migrationshintergrund“ sein, mit der bestimmte Zuschreibungen wie bspw. die einer besonders starken patriarchalen Prägung einhergehen, so Auma. Diese Zuschreibungen verstellen Pädagog_innen den Blick auf subjektorientierte Möglichkeiten des Umgangs mit hyperdiversen Schulklassen.

Die Dokumentation „schädlicher Routinen“ in zentralen Bildungsinstitutionen ist eine Aufgabe, die gut im Sinne von antirassistischer Verbündeten-Arbeit („power sharing“) von weißen Pädagog_innen geleistet werden kann, die leichter Zugang zu diesen Institutionen erhalten.

Fazit

Maisha-Maureen Aumas Vortrag verdeutlichte zum einen, welche praktische Relevanz eine intersektionale Perspektive, die Differenzkategorien wie gender oder race immer gemeinsam und in ihrem Zusammenwirken untersucht, für das Feld der sexuellen Bildung hat.

Zum anderen unterstrich die Referentin, dass eine intersektionale pädagogische Perspektive zwingend mit einer dekolonialen Befragung zentraler Institutionen einhergehen muss, wie sie auch beispielsweise unsere Hochschule darstellt.

*[BIPoC = Akronym aus dem Englischen für Black People, Indigenous People and People of Color – politische Selbstbezeichnung von Menschen, die Rassismuserfahrungen machen, deswegen so ins Deutsche übernommen]

 


Der Text erscheint im Rahmen der #4GenderStudies-Week. Dabei veröffentlicht die ASH Berlin eine Woche lang Beiträge auf sämtlichen Kanälen anlässlich des Wissenschaftstags #4GendersStudies – unterstützt von der Arbeitsgemeinschaft der Frauen- und Geschlechterforschungseinrichtungen Berliner Hochschulen (afg). Ziel ist es einen forschungsbasierten Einblick in Arbeiten aus dem Feld der Geschlechterforschung zu geben.

Mehr Informationen zur #4GenderStudies-Week finden Sie auf unserer Website, im Flyer (unten) oder überall unter dem oben genannten Hashtag.

 

Quellen:

Auma, Maisha-Maureen (2020a): Empowerte Sexualpädagogik – von, mit und für BIPoC. Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung „Queer-feministische Sexualpädagogik weiter denken“ an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin.

Auma, Maisha-Maureen (2020b): Zwischen Kulturalisierung und Empowerment. Sexualpädagogische Adressierungen von Schwarzen Menschen und People-of-Color im deutschsprachigen Raum. in: Anna Pritz, Rafaela Siegenthaler, Marion Thuswald (Hg.): Bilder befragen. Begehren erkunden, Zeitschrift Kunst Medien Bildung. http://zkmb.de/zwischen-kulturalisierung-und-empowerment-sexualpaedagogische-adressierungen-von-schwarzen-menschen-und-people-of-color-im-deutschsprachigen-raum/

Studierende des Projekts „Sexualpädagogik und (queer)feministische Ansätze in der Sozialen Arbeit“/ Bayramoğlu, Yener/ Hartmann, Jutta (2020): Queer-feministische Sexualpädagogik weiter denken. In: alice. Magazin der Alice Salomon Hochschule Berlin. Nr. 39, Sommersemester 2020. www.ash-berlin.eu/fileadmin/Daten/News/2020/alice_39_Webversion.pdf; S. 64-65