Gesundheit, Studium „Jeden Tag versuchen wir uns gegenseitig zu überreden, nicht abzubrechen.“

Pflegestudierende und -lehrende von EHB und ASH Berlin im Austausch mit Berliner Abgeordneten über die Zukunft des Pflegestudiums in Berlin

Podiumsgäste der Veranstaltung sitzen nebeneinander an Tischen und reden. Im Hintergrund eine Leinwand auf der Personen zu sehen sind, die online teilnehmen.
Im Gespräch mit den wissenschaftspolitischen Sprechern Tobias Schulze (Die LINKE) und Stefan Förster (FDP)

Lange unbezahlte Pflichtpraktika, fehlende Refinanzierung der Praxisanleitung, eine Schlechterstellung im Vergleich zur Ausbildung und damit geringe Bewerbungszahlen und hohe Abbruchquoten: Das Pflegestudium in Berlin steht vor einer Vielzahl von Herausforderungen. 

Aus diesem Grund luden die Pflegestudiengänge von ASH Berlin und EH Berlin am Abend des 18. Januar 2023 zu einem Austausch mit dem Titel „Zukunft des Pflegestudiums in Berlin“ ein. Als Gäste begrüßten die Pflegestudiengänge die Abgeordneten und wissenschaftspolitischen Sprecher Tobias Schulze (LINKE) und Stefan Förster (FDP), die beide im Ausschuss für Wissenschaft und Forschung des Berliner Abgeordnetenhauses sitzen, sowie Vertreter_innen von Pflegepraxiseinrichtungen. Die freie Journalistin Ulrike Baureithel moderierte das Gespräch.

Zum Auftakt berichteten Ashley Großer und Johanna Schmidt stellvertretend für alle Pflegestudierende im Land Berlin eindringlich aus ihrem Alltag: Da das Vollzeitstudium keine Zeit für Nebenjobs lässt, kann es nur durch BAföG oder Wohnen bei den Eltern finanziert werden. Viele brechen ab, weil es „finanziell oder körperlich einfach nicht tragbar ist.“ Eine Pflegestudentin äußerte: „Die Arbeit, die wir leisten, entlastet das System. Wir werden wie Vollzeitpflegekräfte eingesetzt, obwohl das absolut nicht passieren sollte, es passiert aber so.“ Eine andere Studentin fügte hinzu: „Ich saß vor ein paar Monaten bei Ihnen im Wissenschaftsausschuss und ich könnte die gleiche Rede genauso noch einmal halten, weil sich seitdem nichts geändert hat. Wir stehen jeden Tag da und versuchen uns selbst gegenseitig zu überreden, nicht aufzuhören und nicht abzubrechen. Es haben aber seitdem viele Menschen ihr Studium abgebrochen und das sind alles Pflegekräfte, die jetzt nicht mehr in diesem Beruf arbeiten.“

Nach inzwischen drei Jahren des neuen Pflegeberufegesetzes und des Aufbaus von Pflegestudiengängen befinden sie sich noch immer in den Kinderschuhen. Viele Menschen kennen die Pflegestudiengänge und deren Vorteile gegenüber der Ausbildung noch nicht. Prof. Dr. Annerose Bohrer, Leiterin des Studiengangs Bachelor of Nursing an der EH Berlin wies nachdrücklich daraufhin, dass seit den 1990er Jahren mit der Entstehung der Pflegestudiengänge sehr viel wichtiges, für die Berufspraxis nötiges pflegewissenschaftliches Wissen produziert worden sei, zum Beispiel was die Begleitung von Menschen mit Demenz oder von Kindern mit chronischen Erkrankungen betrifft.

Dass das Pflegestudium attraktiver werden muss, darin waren sich Abgeordnete und Hochschulvertreter_innen einig. Und Tobias Schulze forderte: „Die Akademisierung der Pflege darf nicht scheitern. Wir brauchen dafür finanziell jetzt schnelle Lösungen und grundsätzlich auch attraktive Berufspfade.“

Zur hohen Zahl der Studienabbrecher im Pflegestudium sagte Prof. Dr. Uwe Bettig, Dekan des Fachbereiches II - Gesundheit, Erziehung und Bildung: „Die Abbrecherquoten tun uns doppelt weh, einmal verlieren wir engagierte Studierende, wir verlieren ja aber auch Geld, wenn wir Studienplätze nicht besetzen und wenn wir die Studierenden nicht zum Abschluss bringen. Dieser Mechanismus im Rahmen der sogenannten leistungsbasierten Hochschulfinanzierung kann ja auch nicht richtig sein.“

Prof. Dr. Johannes Gräske, der den Bachelorstudiengang Pflege an der ASH Berlin leitet, berichtete, dass die Rahmenbedingungen des Studiums von Anfang an nicht gut gewesen seien. Im Pflegestudium gäbe es drei verschiedene Lernorte: den Hörsaal, die Praxisstätte und das SkillsLab. „Die Senatsverwaltung hat für die Arbeit im SkillsLab den Anrechnungsfaktor von 0,5 angesetzt. Das bedeutet, dass meine Kolleg_innen, die im SkillsLab zu 100 Prozent arbeiten, nur 50 Prozent vergütet bekommen. Lehrende, die theoretisches Wissen in einer Vorlesung vermitteln, bekommen dagegen das Doppelte. Das ist mir völlig unverständlich!“ Den Anrechnungsfaktor von nur 0,5 habe kein anderes Bundesland.

Bei der Finanzierung der Praxisanleiter_innen, die die praktischen Einsätze der Studierenden begleiten, gibt es ebenfalls Schwierigkeiten. Sarah Kurze, Geschäftsführerin der Hauskrankenpflege Stolley, sagte: „Wir gehen auch in Vorleistung, unsere Praxisanleiter werden ja nicht refinanziert. Wir als Unternehmen stellen dieses Angebot zur Verfügung und wir machen das an sich auch gern. Aber für die Studierenden würde ich mir wünschen, dass sie ihren Fokus auf das Studium legen können und nicht den Druck haben ihr Leben finanziell bestreiten zu müssen.“ Johannes Gräske ergänzte aus Sicht der Hochschulen: „Die Praxiseinrichtungen fragen uns, warum sie uns die Praxisstellen geben sollen, wenn sie dafür keine Finanzierung erhalten. Vermitteln sie die Stellen dagegen an Auszubildende, bekommen sie Geld. Das macht es für uns als Hochschule sehr schwierig Praxiseinrichtungen zu gewinnen.“

Die Rektorin der ASH Berlin, Prof. Dr. Bettina Völter, die zur Diskussion online zugeschaltet war, sagte: „Eine fehlende kompetente Pflege lässt die Kosten für das Gesundheitssystem enorm wachsen, weil dadurch chronische Verläufe entstehen, und zwar bereits bei Kindern und Jugendlichen. Das muss schließlich auch in die Kosten-Nutzen-Rechnung einbezogen werden.“

Die Abgeordneten bekräftigten, dass all diese Fragen, einschließlich der Studienfinanzierung, in den nächsten Monaten auf der politischen Tagesordnung stünden und zeigten Einigkeit darin, dass man sich in der nächsten Zeit mehr auf die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften konzentrieren werde. „Die Unis hatten ihre fetten Jahre.“, so Tobias Schulze.