Seit dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 sind in Israel und in Gaza tausende Kinder und Jugendliche ums Leben gekommen (Israel National Council for the Child, 2023; Unicef, 2025). Durch die kriegerische Auseinandersetzung zwischen der israelischen Armee und der palästinensischen Hamas werden Kinder und Jugendliche unschuldig zu Opfern und können kein kindgerechtes Leben in Schutz verbringen. Zudem leiden durch die militärische Eskalation in Gaza-Stadt viele Kinder an Hunger, zwei von 10 Kindern in Gaza-Stadt sind akut unterernährt (Deutsches Ärzteblatt, 2025).
Darüber hinaus haben eine Vielzahl von überlebenden Kindern massive Verletzungen und psychische Traumatisierungen erlitten. Dies hat langfristige und teilweise unumkehrbare Konsequenzen für die weitere Entwicklung der Kinder (IPC, 2025; Unicef, 2025).
Die andauernde Gewalt durch Bombardements von Wohnhäusern, Krankenhäusern und Schulen vernichtet nicht nur die aktuellen Lebensgrundlagen der erwachsenen palästinensischen Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen, sondern trifft besonders die Wehrlosesten der Bevölkerung – die Kinder. Ohne deren Überleben wird keine noch so geringe Hoffnung auf einen Dialog über Versöhnung und Frieden jemals zu verzeichnen sein. Dies steht im Widerspruch zu den internationalen Kinderrechtskonventionen (UN-KRK)[1], die 195 Länder ratifiziert haben, so auch Deutschland und Israel.
Als Vertreter:innen der Kindheitspädagogik, der Sozialen Arbeit und der Gesundheits-, Therapie- und Pflegewissenschaften in Ausbildung, Praxis und Wissenschaft verurteilen wir jegliche Schädigung und Tötung von Kindern - unabhängig von Herkunft, Religion und Nationalität.
Wir setzen uns für die konsequente und ausnahmslose Umsetzung der internationalen Kinderrechte in Gebieten mit bewaffneten Konflikten[2] ein, aktuell insbesondere in Gaza.
Wir appellieren an die Bundesregierung,
dass Deutschland die mit der Unterzeichnung der UN-Kinderrechtskonvention eingegangenen Verpflichtungen einhält und die Umsetzung der folgenden Kinderrechte aktiv forciert:
- Jedes Kind hat ein Recht auf Leben und Überleben (UN-Kinderrechtskonvention Art. 6) und alle 195 Staaten sind verpflichtet, das Überleben und die Entwicklung der Kinder mit größtmöglichem Einsatz zu sichern. Dies schließt in Kriegsgebieten, wie Gaza, den besonderen Schutz der Kinder ein, die durch Bombardierung, Blockaden der lebensnotwendigen Versorgung, wie Lebensmitteln, oder auch gezielte Angriffe auf die zivile Infrastruktur (Schulen, Wohnhäuser, Krankenhäuser und andere soziale Einrichtungen, wie Spielplätze) bedroht sind.
- Recht auf Schutz vor Gewalt, Misshandlung, Folter und Ausbeutung (UN-KRK Art. 19, 37): Kinder in Gaza erleben aktuell systematische Gewalt, wie den Verlust von Angehörigen, Angriff auf die körperliche und seelische Unversehrtheit, medizinische Versorgung, das Hungern bis hin zum Fehlen von Schutz und von Fluchtoptionen. Dies führt in der Regel zur Vertiefung von Ängsten und Traumatisierung der betroffenen Kinder. Zudem ist das medizinische und psychische Versorgungssystem weitestgehend zusammengebrochen. Die materielle Infrastruktur, einschließlich sozialer, medizinischer und pädagogischer Einrichtungen, kann keinen verlässlichen Schutz mehr bieten.
- Kinder haben das Recht auf Gesundheit und medizinische Versorgung (UN-KRK Art. 24), auf Ernährung, Trinkwasser und sanitäre Einrichtungen. Die Zerstörung von Kliniken, fehlende Medikamente sowie gezielte Blockaden von Hilfsgütern verletzen dieses Recht grundlegend mit schwerwiegenden, oft nicht revidierbaren Folgen für die Überlebensfähigkeit und die weitere Entwicklung von Kindern.
- Kinder haben ein Recht auf Bildung und Entwicklung (UN-KRK Art. 28, 29), die auf die „Entfaltung der Persönlichkeit, Achtung der Menschenrechte und friedliches Zusammenleben“ ausgerichtet ist. Durch die Zerstörung von Bildungseinrichtungen, wie Schulen, fehlt es an sicheren Lernorten. Bildungsorte sind Bereiche des sozialen Lebens, die Wissens- und Kompetenzaneignung ermöglichen. Wer Bildung verhindert, macht eine aktive Zukunftsgestaltung für Kinder auf persönlicher, gemeinschaftlicher und auf kultureller Ebene unmöglich.
- Spiel, Erholung und kindgerechte Entwicklung sind ebenso wie kulturelle Teilhabe von Kindern (UN-KRK Art. 31). Spiel und Erholung bieten darüber hinaus Möglichkeiten, traumatische Ereignisse zu verarbeiten. In Kriegsgebieten mit ungewissen militärischen Auseinandersetzungen und einer fehlenden Grundversorgung und ohne Sicherheit, soziale Infrastruktur und emotionale Stabilität werden kindliche Regulations- und Entwicklungsbedürfnisse vollständig missachtet.
- Kinder gelten im humanitären Völkerrecht als besonders vulnerabel und schutzbedürftig. Sie sind vor bewaffneten Konflikten besonders zu schützen (UN-KRK Art. 38 sowie Genfer Konvention IV). Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten, Zusatzprotokoll I: Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte. Berichte über den Einsatz von Kindern als menschliche Schutzschilde durch bewaffnete Gruppen sowie über Angriffe auf zivile Einrichtungen widersprechen internationalen Vereinbarungen. Die massive Durchmischung von zivilen und militärischen Orten, wie die Angriffe auf Schulen und Unterkünfte von Hilfsorganisationen oder die Zerstörung von Fluchtrouten, missachtet dieses besondere Schutzrecht der Kinder.
Wir fordern die Bundesregierung auf,
nicht nur „zutiefst besorgt über das fortdauernde Leid der Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen“ (BPA-Presseerklärung 178, Erklärung des Bundeskanzlers Merz zur Entwicklung im Gaza-Streifen, BPA) zu bleiben, sondern Konsequenzen folgen zu lassen, die im europäischen Konsens und im Einklang mit der internationalen Resonanz auf die Grausamkeiten der Kriegsführung im Gaza-Streifen, die angesichts tausender getöteter Kinder im Gaza-Streifen vor der Massenvernichtung junger und jüngster Heranwachsender keinen Halt macht, die Militärdoktrin der israelischen Regierung in aller Schärfe zu de-legitimieren und ihrer fortgesetzten Umsetzung durch konsequente Maßnahmen diplomatischer Einflussnahme, internationaler Sanktionen und humanitärer Hilfe entschieden entgegenzuwirken.
Konkret fordern wir,
- dass sich die politische Führung Deutschlands aktiv für die sofortige Beendigung des Hungers sowie
- für die sofortige Gewährleistung des Schutzes von Leib und Leben von Kindern einsetzt und
- den Zugang zu medizinischer und psychosozialer Hilfe möglich macht, wie Traumapädagogik und -therapie, um die seelischen Schäden zu mildern,
- die schnellstmögliche Umsetzung von Bildungsangeboten – unabhängig von Herkunft, Religion oder politischem Kontext,
- humanitäre Hilfen, die eine rasche Entspannung der aktuellen Situation bringen und keine unwürdigen Abwürfe von Lebensmitteln und anderen Hilfsgütern, die neben Entlastung auch mehr Leid bringen. Wir bitten um einen zutiefst menschlichen Umgang mit den Kindern.
Wir positionieren uns ausdrücklich gegen Stimmen, die Gewalt in jegliche Richtung rechtfertigen, einschließlich Antisemitismus und andere Formen von Rassismus, auch in Deutschland.
Wir vertreten ausdrücklich die Position der Gewaltfreiheit und der Dialogbereitschaft, um sichere Beziehungsräume zu schaffen.
Wir fordern, und unterstreichen dies nochmals, die Unterstützung dialogischer Prozesse zwischen Israel und Palästina und den höchstmöglichen diplomatischen Einsatz, um Lösungen in den Gebieten und Möglichkeiten zu erringen, damit Kinder und Jugendliche geschützt werden.
Referenzen
- BPA-Presseerklärung 178, Erklärung des Bundeskanzlers Merz zur Entwicklung im Gaza-Streifen. Abruf unter: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/bundeskanzler-friedrich-merz-erklaert-zur-entwicklung-in-gaza--2377366
- Deutsches Ärzteblatt. Abruf unter: https://www.aerzteblatt.de/news/unicef-zwei-von-zehn-kindern-in-gaza-stadt-sind-akut-unterernahrt-67b6c88b-7554-486e-af54-a900cf7e2c41
- Global Hunger Index (GHI) (2024). Welthunger Index – Interaktive Karte. Abruf unter: https://www.globalhungerindex.org/de/
- IPC (2025). IPC ALERT: Worst Case scenario of Famine unfolding in the Gaza Strip. Abruf unter: https://www.ipcinfo.org/ipcinfo-website/countries-in-focus-archive/issue-133/en/
- Israel National Council for the Child (2023). The Statistical Yearbook „Children in Israel“ 2023. Israel – Hamas War. Abruf unter: https://www.children.org.il/wp-content/uploads/2024/03/Israel-National-Council-for-the-Child-05.03.pdf
- UNICEF (2022). Kinderrechtskonventionen der Vereinten Nationen (UN-CRC bzw. KRK). Abruf unter: https://headless-live.unicef.de/caas/v1/media/194402/data/77afdd9d17e246129b04e8aef70a01ab
- UNICEF (2025). Gaza: Schwellenwerte für Hungersnot teilweise überschritten. Abruf unter: https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/presse/-/gaza-schwellenwert-hungersnot-teilweise-ueberschritten-/379004
[1] Sowohl Deutschland als auch Israel haben sich völkerrechtlich verpflichtet, die in der Konvention festgelegten Kinderrechte zu achten, zu schützen und umzusetzen. Deutschland hat die UN-KRK am 26. Januar 1990 unterzeichnet, am 6. März 1992 ratifiziert und am 5. April 1992 sind diese in Kraft getreten. Am 15. Juli 2010 wurden zudem die Ausnahmen in Bezug auf das Asyl- und Ausländerrecht vollständig aufgehoben. Israel hat am 3. Juli 1990 die UN KRK unterzeichnet, am 4. August 1991 ratifiziert und am 2.11.1991 sind diese in Kraft getreten.
[2] Zudem möchten wir darauf aufmerksam machen, dass es weitere Hunger- und Kriegsgebiete in der Welt gibt. Hervorzuheben sind die Regionen in Ostafrika mit Sudan, Somalia und Äthiopien sowie auf der arabischen Halbinsel Jemen (siehe Hungeratlas GHI).