Hochschulleben Rassismus intersektional bekämpfen – immer und überall

Statement zum Internationalen Tag gegen Rassismus am 21. März 2022

Wie die aktuellen Ereignisse in der Ukraine zeigen, hat Solidarität mit BIPoC leider oft ihre Grenzen. Wenn diese beispielsweise an den EU-Grenzen aufgehalten und daran gehindert werden, Schutz zu finden. In der Öffentlichkeit und von staatlicher Seite scheint mit zweierlei Maß gemessen zu werden, wenn es im Vergleich um Geflüchtete aus Afghanistan, Syrien, Somalia, Sudan und anderen Ländern des globalen Südens geht.

Wir sagen: Leave no one behind! Die Vulnerabelsten brauchen einen besonderen Schutz. Alle Leben zählen und verdienen ein lebenswertes Leben. Wir begrüßen das Statement der Fachgesellschaft für rassismuskritische, postkoloniale und dekoloniale Theorie und Praxis und teilen die Kritik der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland am Anti-Schwarzen Rassismus in einer humanitären Krise und die Forderungen nach unverzüglicher und unbürokratischer Grenzüberschreitung auch für afrikanische und Schwarze Menschen!

Rassismus ist leider immer noch ein oft tödliches Problem, sowohl lokal, aber auch global. Allein im deutschen Kontext besteht derzeit ein Höchststand an rassistisch und antisemitisch motivierten Straftaten seit 20 Jahren, und das trotz einer massiven Untererfassung der Strafbehörden. Traurige Bekanntheit erlangten in den letzten Jahren, der rechtsterroristische Anschlag in Hanau und das Attentat auf eine Synagoge in Halle, aber auch der Anschlag im Olympia Einkaufszentrum in München war rassistisch motiviert. Ein Großteil rassistischer Gewalt passiert jedoch im Alltag. Meist erlangen Übergriffe wie Dilan sie im Februar in der BVG erleben musste kaum die Öffentlichkeit. Auch verdanken wir nur der Arbeit zivilgesellschaftlicher Initiativen die allmähliche Aufarbeitung des Falls Oury Jallohs. Gedenktage verkommen oft zum inhaltslosen Ritual, um danach wieder ein Jahr zum Alltag zurückzukehren, ohne irgendetwas zu verändern. Wir möchten heute dazu auffordern, an jedem Tag Rassismus zu bekämpfen, solidarisch zu sein und nicht nur rassistische Taten, die woanders passieren, zu verurteilen. "In einer rassistischen Gesellschaft reicht es nicht aus, nicht rassistisch zu sein. Wir müssen anti-rassistisch sein.” (Angela Davis)

Solidarität mit Opfern von Rassismus und Antisemitismus bedeutet aktiv im eigenen beruflichen und privaten Umfeld gegen Rassismus und Antisemitismus einzutreten. Für Hochschulangehörige der ASH Berlin, die der Dominanzgesellschaft angehören, kann das heißen, sich zu fragen: Was bedeutet es als Rom*nja & Sinti*zze, Schwarze Person, Person of Color, Jüdin*Jude an der ASH Berlin zu studieren? Welche diversen marginalisierten Perspektiven sind in den verschiedenen Hochschulstatusgruppen vertreten, welche nicht und warum? Welche Expertisen werden herangezogen? Wer wird eingestellt? Welche Perspektiven werden in Seminaren und Lehrmaterialien repräsentiert, welche nicht? Wer lehrt und forscht wie und über wen? Welche Forschungsfragen werden gestellt? Welche Forschung wird finanziell gefördert und welche Aktivitäten werden finanziert, zugelassen und unterstützt? Wer trifft Haushaltsentscheidungen? Wer sitzt in Entscheidungspositionen und verfügt über Ressourcen? 

Dass Universitäten keine Ausnahme bilden, dass Wissensproduktion, Forschung nicht frei von Rassismus und Diskriminierung sind, sondern vielmehr mit diesen verschränkt, zeigt auch ein Blick in die Kolonialgeschichte. Die Herausbildung und Etablierung wissenschaftlicher Disziplinen, nicht zuletzt der Humanwissenschaften und vermeintlich objektiver Forschung basieren maßgeblich auf der Erfindung, Verbreitung und pseudowissenschaftlichen Fundierung der Rassifizierung von Menschen mit dem Ziel Kolonialherrschaft zu legitimieren. Wissenschaftliche Disziplinen haben zu einer rassistischen, sexistischen, klassistischen und ableistischen Hierarchisierung und der Konstruktion christlich-weißdeutsch-bürgerlicher Überlegenheit beigetragen. Objektivität und Neutralität wurden in diesem Zusammenhang als Herrschaftsinstrumente missbraucht und haben rassistische und antisemitische Politiken genährt und befördert. Die so etablierte Hierarchisierung von Menschen, Wissen und Perspektiven setzt sich bis heute im Wissenschaftssystem fort.

Der konservative, heteronormative und rassistische Backlash unter dem Mantel der „Wissenschaftsfreiheit“ findet nicht von ungefähr auch an Hochschulen statt: an einem der zentralen Orte, wo rassistisches Wissen (re)produziert und normalisiert wird und von (zukünftigen) Eliten in die Mitte der Gesellschaft getragen wird. Nur weil das Bewusstsein für die Bandbreite von Rassismen, Diskriminierungen, Ausschlüssen, Privilegien und ihren historischen und politischen Bedingungen in Teilen der Gesellschaft wächst, ist diese noch lange nicht zum Besseren transformiert und finden nicht alle gleichermaßen Anerkennung, Aufmerksamkeit und Sicherheit. Stattdessen werden jene, die gegen Gewalt und Ungerechtigkeiten aufbegehren und diese thematisieren zu Aggressor*innen erklärt.

Als SAGE-Bildungsinstitution befindet sich die ASH Berlin immer in Konfrontation mit den konkreten Auswirkungen gemachter Ungleichverhältnisse. Sie agiert im Spannungsfeld widersprüchlicher Verhältnisse mit dem Anspruch, auf dem Weg zu einer rassismus- und diskriminierungskritischen Institution zu sein. Gleichzeitig muss anerkannt werden, dass die Struktur an der ASH Berlin, ähnlich wie bei anderen Hochschulen, auf die Bedürfnisse von cis-binären weißen Personen ausgerichtet ist. Alle, die dem nicht entsprechen, müssen mit zusätzlichen schmerzhaften Hürden kämpfen, um ihr Studium abschließen zu können.

Am Internationalen Tag gegen Rassismus rufen wir daher dazu auf, trügerischen Wohlgefühlen zu widerstehen. Es gilt vielmehr wachsam und kritisch zu bleiben, um der Instrumentalisierung und dem Missbrauch erkämpfter Sensibilitäten, rassismus- und diskriminierungskritischer Werkzeuge vorzubeugen. Glaubhaft und selbstkritisch an einem gerechteren, achtsamen, ökologischen, für künftige Generationen lebbaren und lebenswerten Miteinander zu arbeiten – unter Berücksichtigung dessen was war und nicht zu reparieren ist. Was sein könnte von hier an und im Jetzt.

 

To Doan (Schreibteam)
Dr. Aki Krishnamurthy (Referentin für Antirassismus und Empowerment)
Sahra Nell (Referentin für die diskriminierungskritische Öffnung der Hochschule)
InPut – Arbeitsbereich für Intersektionale Praxis und Transformation
BIPoC Referat