Angesichts der weltweiten Corona-Pandemie ist solidarisches Handeln nötiger denn je. In den kommenden Wochen richten wir daher den Blick auf die Gemeinwesenarbeit von ASH-Kooperationsprojekten im In- und Ausland und ihren Umgang mit der Corona-Pandemie. Jede Woche stellen wir dabei ein Projekt vor.
Die Reihe beginnt mit einem Bericht von Konstantina Kranou, Sozialarbeiterin und Erwachsenenbildnerin in Griechenland und Andrea Plöger, Professorin für Soziale Kulturarbeit mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik an der ASH Berlin. Sie erklären, wie Sozialarbeiter_innen im Grenzgebiet Türkei / Griechenland mit der Situation umgehen, um eine humanitäre Katastrophe – auch im Zuge der weltweiten Corona-Pandemie – zu verhindern.
Geplante Kooperation Universität Kreta – ASH Berlin
„Seit Februar laufen die Vorbereitungen für eine Kooperation zwischen der Fakultät für Soziale Arbeit der Universität Kreta und der Alice Salomon Hochschule Berlin“, so Andrea Plöger. „Gegenseitige Besuche und gemeinsame Workshops, u.a. mit Konstantina Kranou, waren geplant. Die müssen nun in die virtuelle Welt verlegt werden. Die Themen, die wir vor allem angehen wollen, sind Menschenrechte und ihre Aushöhlung an den EU-Grenzen und die Soziale Arbeit in dieser Situation. Zentral ist auch das Verständnis der Auswirkungen eines EU-Grenzregimes auf die Menschenrechtspolitik und die Rollen, die die verschiedenen EU-Staaten dabei spielen (müssen).“
Hintergrund: Eine sich verschärfende humanitäre Katastrophe
In den letzten Monaten eskalierte die ohnehin seit Jahren sehr angespannte Situation auf den griechischen Inseln. Mit den Angriffen auf die letzten widerständigen Provinzen in Syrien an der Grenze zur Türkei, wurden Anfang des Jahres über eine Million Menschen, die bereits neun Jahre Krieg überlebt hatten, zur Flucht gezwungen. In den nachfolgenden Auseinandersetzungen zwischen der Türkei und der Europäischen Union zeigte sich deutlich, dass Menschenrechte einer Grenzpolitik der EU nachgeordnet sind – bevor das Recht auf Asyl dann am 1. März für einen Monat offiziell „ausgesetzt“ wurde.
Dazu Konstantina Kranou: „Momentan liegt der Fokus darauf, die drohende humanitäre Katastrophe in den Camps auf den griechischen Inseln zu verhindern und ihre Evakuierung umzusetzen, über die seit Weihnachten debattiert wird. So gab es schon vor einigen Monaten Signale u.a. aus Berlin, vor allem unbegleitete minderjährige Geflüchtete aufnehmen zu wollen. Auch die nötige Infrastruktur steht bereit, aber die Kinder und Jugendlichen warten weiterhin auf ihre Ausreise, während die Camps abgeschottet sind und die Menschen ihre aus Planen konstruierten Zelte nicht verlassen sollen. Eine Quarantäne in einem völlig überfüllten Camp ohne adäquate sanitäre Einrichtungen und Müllabfuhr, ohne eine zuverlässige Trinkwasserversorgung und ohne medizinische Hilfe und mit der Bedrohung durch Angriffe von Anhängern der neonazistischen Strömungen und Parteien in Griechenland: dies ist die derzeitige Situation auf den griechischen Inseln.“
Soziale Arbeit – per Telefon und Internet
Wie in Deutschland, so gelten auch in Griechenland Ausgangsbeschränkungen und Konstantina Kranou versucht mit ihren Kolleg_innen, die Menschen in immer verzweifelteren Situationen auf den griechischen Inseln und auch in Athen durch Beratung via Social Media und Telefon zu erreichen und auf diese Weise Hilfe zu koordinieren. Am 02.04.2020 fand zudem die erste internationale Online-Konferenz zu Sozialer Arbeit unter den Bedingungen der Corona Pandemie (Agenda) statt.
Weiterführende Ressourcen
Konstantina Kranou und Andrea Plöger haben eine Reihe von Hintergrundressourcen gesammelt, anhand derer sich die Entwicklungen nachvollziehen lassen:
- Der Malakasa Report zur aktuellen Situation der Pandemie im Camp Malakasa
- Ein offener Brief für den Schutz besonders vulnerabler Gruppen während der Pandemie
- Ärzte ohne Grenzen warnt, dass die Lager auf den griechischen Inseln dringend geschlossen werden müssen und die Menschen angesichts der Corona Pandemie evakuiert werden müssen.
- Krieg in Syrien überlebt – erschossen beim Versuch, das Recht auf Asyl wahrzunehmen: Der Clip des Kollektivs "forensic architecture" rekonstruiert die Erschießung von Muhammad al-Arab aus Aleppo am Evros Fluss an der EU-Grenze Anfang April.
- Neonazis aus Deutschland und Österreich reisten im März in die Grenzregion, um gegen Geflüchtete mobil zu machen.
- Angriffe auf Menschen auf der Suche nach Schutz, Helfer_innen und Journalist_innen: Dies ist bereits die zweite Brandstiftung innerhalb einer Woche. Aufgrund der aufgeheizten Stimmung erlässt die Botschaft der USA einen offiziellen Security Alert und rät Mitarbeiter_innen von Hilfsorganisationen die Gegend zu verlassen.
- Geheimes Abschiebegefängnis auf griechischer Seite: Die New York Times deckt die Praxis von illegalen push backs von der EU in die Türkei und ein dazu eingerichtetes Gefangenenlager auf der griechischen Seite auf.
Berichtet hat Konstantina Kranou. Die Sozialarbeiterin und Erwachsenenbildnerin koordiniert seit mehreren Jahren Interventionsprojekte in Geflüchteten- und Roma-Camps. Sie war klinische Leiterin eines psychosozialen Rehabilitationszentrums und ist Ausbilderin für die psychosoziale Einschätzung von Asylsuchenden und Folteropfern. Konstantina Kranou koordinierte nationale und europäische Menschenrechtsprojekte und berät seit 2014 Akteur_innen im Bereich Flucht und Migration sowie NGOs, Universitäten und Regierungsorganisationen in Griechenland und Deutschland. Normalerweise lebt sie in ihrem Geburtsort Ioannina, aber eigentlich ist sie Arbeitsnomadin.