Zurück zu: Erfahrungsberichte

Dilan

Dilan Polat stammt aus Zürich. Die 24-Jährige studiert Soziale Arbeit an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Basel, wo das Studium sechs Semester umfasst. Ihr viertes Semester verbrachte die in der Schweiz geborene Tochter zweier Kurden als Praxissemester in Berlin bei dem Verein „Interkulturelle Initiative“.

Frau Polat, wieso haben Sie sich für ein Praktikum in Deutschland und an der ASH Berlin entschieden?

Ich war schon vorher drei-, viermal in Berlin und finde die Stadt wirklich toll. Sie ist sehr abwechslungsreich. Ende August 2014 besuchte ich Berlin und die Alice Salomon Hochschule im Rahmen eines Wahlmoduls. Da wusste ich, dass ich hier mein Praktikum absolvieren möchte. Ich hatte in Berlin größere Möglichkeiten als in der Schweiz. Dort bewirbt sich jeder auf freie Stellen, während in Deutschland eher das Interesse an der Stelle an sich wichtig ist. Man bewirbt sich und bekommt die Stelle auch mit großer Wahrscheinlichkeit.

Woran liegt das?

In der Schweiz gibt es viel weniger Praxisorganisationen, die mit Hochschulen kooperieren – und in der Schweiz kosten die Praktikanten Geld, während hier nicht vergütet wird. In der Schweiz müssen Organisationen, die Praktika anbieten viele Richtlinien erfüllen.

Ist es für Sie problematisch, nicht für Ihre Tätigkeit entlohnt zu werden?

Für mich ist das kein Problem, weil ich auf staatliche Stipendien aus der Schweiz zurückgreifen kann. Hätte ich hier verdient, wäre der Betrag vom Stipendium abgezogen worden. Deshalb spielt es für mich keine Rolle. Für manche andere schon, die können sich aus finanziellen Gründen ein Auslandssemester oder -praktikum nicht leisten.

Wie haben Sie sich neben den Stipendien auf Berlin und Ihr Praktikum vorbereitet?

Ich bin Ende Dezember hergeflogen, hatte drei Vorstellungsgespräche an einem Tag und bin am Abend wieder zurückgeflogen. Die Termine habe ich so eingerichtet, dass ich von einer zur anderen Organisationen kam. Das war mein erstes Mal alleine in Berlin und eine Herausforderung. Im Voraus hatte ich mir Wege, Bushaltestellen und U-Bahn-Stationen ausgedruckt. Danach wusste ich, wo ich mein Praktikum absolvieren möchte.

Mit der Wohnungssuche habe ich mir keinen Stress gemacht. Ich habe vielen geschrieben, die meisten haben abgesagt, weil sie die Menschen direkt kennenlernen wollten. Das konnte ich aus zeitlichen und finanziellen Gründen nicht. Aber eine Frau, die eine 1-Zimmer-Wohnung vermietet, war sehr nett, mit der habe ich circa 15 Minuten geskyped und ihr dann meine Unterlagen geschickt. Das passte.

Beschreiben Sie doch kurz Ihre Stelle …

Ich arbeite bei dem Verein „Interkulturelle Initiative“. Es gibt dort verschiedene Teilprojekte, eines ist die Beratungsstelle, wo jeder sich anonym und unverbindlich beraten lassen kann, ein anderes das Frauenhaus und es gibt das Wohnprojekt, in dem ich tätig bin. In das Frauenhaus gehen Frauen, wenn sie in akuter Not sind und leben dort einige Monate. Frauen, die länger eine Betreuung brauchen, z. B. wegen der Sprache oder weil sie immer noch bedroht sind, kommen in das Wohnprojekt. Oft finden Frauen in der Zeit, in der sie im Frauenhaus leben, nur sehr schlecht eine Wohnung. Für maximal ein bis zwei Jahre können sie ins Wohnprojekt, falls dort Platz ist, was oft ein Problem ist.

Was ist Ihre Aufgabe?

Es werden im Wohnprojekt Migrantinnen aufgenommen, die unter häuslicher Gewalt litten. Ich mache fast alles, was die Sozialarbeiterinnen dort machen – natürlich nach Absprache und mit Vorbereitung. Wir erledigen die bürokratischen Dinge für die Frauen. Wir öffnen und lesen beispielsweise Briefe gemeinsam und kümmern uns darum. Da viele nicht Deutsch sprechen, übersetze ich außerdem die Gespräche zwischen den Klientinnen und den Sozialarbeiterinnen.

Des Weiteren begleite ich die Frauen sehr oft; zum Jobcenter, zum Bürgeramt, zum Gericht, zur Polizei oder auch zum Arzt. Hauptsächlich Frauen, deren Muttersprache ich spreche.

Welche Sprachen sprechen Sie?

Deutsch, Schweizerdeutsch, Türkisch und Kurdisch wie meine Muttersprache, Französisch und Englisch sehr gut.

Wie sieht Ihr Alltag in Berlin aus?

Ich arbeite jeden Tag, außer dienstags, da besuche ich eine Vorlesung. Zu Beginn kannte ich fast niemanden hier und habe deshalb mehr für mich alleine unternommen. Mit Semesterstart kam ich in Kontakt zu anderen Studierenden, auch zu vielen Austausch-Studierenden, und habe meinen Freundeskreis aufgebaut. Meist gehe ich zur Arbeit und treffe mich anschließend mit jemandem.

Wie fühlen Sie sich von der ASH Berlin betreut?

Sehr gut, vor allem von Franziska Fiebrich aus dem International Office. Dort wurde mir nach meiner Ankunft alles sehr gut erklärt, etwa wie ich mich beim Bürgeramt oder der Ausländerbehörde anmelde. Man steht ständig in Kontakt, via E-Mail oder auch dank der Facebook-Gruppe, die es gibt.

Was macht Berlin für Sie aus?

Berlin ist für mich so … Berlin. Ich kann Berlin nicht mit anderen Städten vergleichen. Es hat etwas Eigenes. Es ist offen und hat etwas Lockeres. Die Schweiz ist hingegen meiner Meinung nach eher diszipliniert und es gibt eine Reihe von Regeln die man – bewusst oder unbewusst – einhalten muss. Pünktlichkeit, um ein kleines Beispiel zu geben, ist in der Schweiz sehr wichtig. Das ist eine Norm. Hier kann man mal unpünktlich sein. Ich bin aber immer noch sehr pünktlich, das ist in mir drin. Wenn jemand zu spät kommt, ist das jedoch in Ordnung. Ich bin nicht so gestresst, wenn das Gefühl, pünktlich sein zu müssen, wegfällt.

In der Schweiz muss man sich der Gesellschaft sehr anpassen, um nicht aufzufallen. Hier habe ich das Gefühl, so sein zu können, wie ich möchte. Es gibt hier nicht nur diese eine Gesellschaft, sondern viele unterschiedliche Gruppen. Mir ist aufgefallen, dass man viel schneller und überall mit unbekannten Menschen ins Gespräch kommt. Das passiert in der Schweiz eher seltener. 

Vielen Dank für das Gespräch! 

Das Interview führte Denis Demmerle.

Zurück zu: Erfahrungsberichte