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Juliana

stammt aus Bogota in Kolumbien, wo sie Soziale Arbeit an der Nationalen Universität studiert. Das Wintersemester 2017/18 hat die junge Frau an der ASH Berlin verbracht. Dort ist sie auf interessante Parallelen zwischen ihrer Heimat und der Türkei gestoßen und musste feststellen, wie wenig die Menschen hier über Kolumbien wissen.

 

Juliana, wie hast du deine Berlin-Zeitvorbereitet?

Das war schwierig. Wer nicht aus der Europäischen Union kommt, muss sich um viel mehr Papierkram kümmern. Ich hatte einige Probleme mit meinem  Visum, aber  auch  damit, ein Stipendium  zu  bekommen. Mein Vorteil war die Unterstützung durch den DAAD – ohne die wäre es viel schwerer gewesen, hierher zu kommen. Oder es hätte gar nicht geklappt.

Hast du Deutsch gelernt?

Ich  habe  in  Kolumbien  schon  zweieinhalb Jahre lang Deutsch gelernt. Aber als ich ankam, hatte ich das Gefühl, noch fast nichts  gelernt  zu  haben.  Das  war  hart. In  Kolumbien  konnte  ich  mit  niemandem üben. Die Lehrer hier sind sehr gut und  auch  die  Studierenden  haben  mich unterstützt. Ich habe zwei Seminare auf Deutsch besucht und merkte dort, wie sich mein Deutsch verbessert. Bei Verständnisproblemen halfen mir die anderen.

Wo liegen die größten Unterschiede zwischen der Berliner ASH und deiner Universität in Bogota?

Soziale  Arbeit ist in Südamerika ganz anders, besonders in
Kolumbien, wo die Armut viel größer als hier ist. Bei uns sterben  Kinder  an  Hunger.  Dazu  kommen die vielen Kriegsopfer. Unsere Seminare orientieren sich eher an der Praxis und weniger an der Theorie. Seminare zu Gender- oder Queer-Studies, wozu es im katholischen Kolumbien nur eingeschränkte Infos gibt, waren sehr hilfreich. Der Unterricht in Kolumbien unterscheidet sich sehr von dem hier. Deshalb ist es nicht einfach, Seminare anerkennen zu lassen. Zum Beispiel war der Kampf um die Demokratie in der Türkei Thema eines Seminars, das ich nicht anrechnen lassen kann. In Kolumbien haben wir Konflikte  im  Inneren  und keine Zeit, auf andere Länder  und  deren  Probleme zu schauen. Wir fokussieren uns auf die eigenen Probleme. Trotzdem war das Seminar für mich sehr lehrreich. Ich  mochte  am  meisten,  dass  in den Seminaren  hier  Menschen  von  überall saßen. Eine solche Gelegenheit habe ich zu Hause nicht. Da sind vielleicht mal ein, zwei Personen aus dem Ausland da. Hier waren Menschen aus Europa, den   USA und Asien. Ich konnte von Menschen lernen und nicht nur aus Büchern oder aus dem Fernsehen. Das ist ein sehr großer Unterschied. Ich konnte leider nicht in die Praxis reinschnuppern, dafür fehlte die Zeit.

Wie reagierten deine Kommiliton_innen als sie von deinen teilweise dramatischen Erfahrungen hörten?

Anfangs konnten das einige gar nicht glauben. Aber ich habe ein gutes Beispiel zu Intersektionalität: Ich erzählte eine Geschichte in vier Teilen, zwischen durch dachten manche, dass die erfunden  wäre,  aber  am  Ende  löste  ich  auf, dass das die wahre Geschichte einer Frau  war, eines Kriegsopfers. Das war für die anderen schockierend und traurig. Aber mein Seminarleiter kannte Kolumbien gut, weil er selbst ein Jahr lang da gewesen war. Er half mir, das was dort passiert, zu erklären und bestätigte so, wie traurig das ist. Leider wird sich das nicht schnell ändern.Für mich war interessant zu sehen, dass alle mehr darüber erfahren wollten. Obwohl es im Seminar nicht um Kolumbien ging. Ich war sehr     dankbar, meine Erfahrungen  teilen zu können. Davon hört niemand aus den Medien, über Kolumbien weiß niemand irgendetwas. Die Leute sprechen mich nur auf Fernsehsendungen an, die sie gesehen haben. Einige waren sogar daran interessiert, ein Praktikum in Kolumbien zu machen oder  ihre  Abschlussarbeit. Menschen, die helfen wollen. Das hat mich überrascht.

Was würdest du Studierenden raten, die nach Kolumbien kommen wollen?

Kolumbien ist großartig! Ein wundervolles Land mit freundlichen Menschen, tollem  Essen  und  den  schönsten  Landschaften  überhaupt. Jeder  wird  dort Freunde  finden.  Aber  es  ist  nicht  wie Berlin. Bogota ist chaotisch. Du musst oft lange auf den Bus warten; bist du endlich drin, ist da keine Luft zummen. Du musst immer deine Sachen im Auge  behalten.  Das  muss  man  sagen, weil es so ist. Aber man muss sich keine großen Sorgen machen. Du hast sicher Freunde in Berlin gefunden.

Waren das eher Berliner oder internationale Leute?

Ich war sehr schüchtern als ich hierher kam,  weil  ich weder  Deutsch  noch  viel  Englisch sprach, aber es gab einige Studierende, die schon zum Austausch in Kolumbien waren.  Die halfen mir sehr und erklärten mir die Dinge, die ich ihnen vor einigen Jahren meinerseits erklärt habe und das Buddy-Programm war auch hilfreich. Bald traf ich internationale Studierende und freundete mich vor allem mit türkischen  Kommiliton_innen  an.  Damit hätte ich nie gerechnet, kamen mir die Kulturen doch sehr unterschiedlich vor. Aber wir haben so viel gemeinsam. Unglaublich. Viele Traditionen sind ähnlich, gerade  was  die  Bedeutung  von  Essen  angeht, aber auch das Tanzen. Wir haben unterschiedliche Religionen – und doch sind viele Bräuche ähnlich. Wir trafen uns oft, um zu kochen und saßen lange gemeinsam beim Essen. Ich brachte ihnen einige traditionelle Tänze bei und sie  mir  türkische. Sie gehen sehr sorgsam mit ihrer Kultur um, auch hier in Deutschland. Das mochte ich sehr.

Wird die Zeit hier deine Zukunft beeinflussen?

Ich  habe  mein  Deutsch  verbessert, was ich zuvor viele Jahre lang versucht habe. Das könnte dabei helfen, in Deutschland ein  Praktikum  zu  finden  oder  meinen Abschluss zu machen, aber auch später einen Job zu finden. Während hier ein Erasmus-Semester normal ist, haben in Kolumbien nur wenige die Chance, ein anderes Land oder auch nur eine andere Stadt kennenzulernen. Das ist die traurige Wahrheit

 

Das Interview führte Dennis Demmerle und erschien im alice Magazin in der Ausgabe 35/2018.

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