Forschung, Hochschulleben, Soziale Arbeit Erste „Nacht der Solidarität“

„Aus Daten müssen Taten werden!“ – Zur Zählung von Wohnungs- und Obdachlosen auf Berlins Straßen am 29./30. Januar

In der Nacht vom 29. auf den 30. Januar 2020 fand in Berlin die bundesweit erste Wohnungslosenzählung statt. In dieser „Nacht der Solidarität“ sollten mehr als 600 Freiwilligenteams feststellen, wie viele Menschen tatsächlich auf den Berliner Straßen leben. Aktuellen Schätzungen zufolge beläuft sich die Zahl auf 6.000 bis 10.000 Personen.

Das Land Berlin wird die Ergebnisse der Zählung nach eigenen Angaben nutzen, um seine Hilfs- und Beratungsangebote auszuweiten und zu spezialisieren und im besten Fall Wohnungslosigkeit zu verhindern.

Damit „verlassen wir den Raum der groben und weit auseinandergehenden Schätzungen“, so Elke Breitenbach, Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales auf der am Abend der Obdachlosenzählung stattfindenden Pressekonferenz in der Berliner Stadtmission. „Damit erfüllt sich auch eine langjährige Forderung von Akteuren in der Wohnungslosenhilfe und ein weiterer Schritt für die Erstellung einer Wohnungsnotfallstatistik ist gemacht.“

Michael Müller, Regierender Bürgermeister von Berlin, bedankte sich insbesondere bei den vielen ehrenamtlichen Helfer_innen: „Berlins Obdachlose sind Teil unserer Stadt. Wir sind eine solidarische Stadt, und die Berliner Stadtgesellschaft stellt das bei der Zählung ihrer Obdachlosen erneut unter Beweis. Dafür danke ich allen Beteiligten von Herzen.“ Auch ASH-Angehörige beteiligten sich an der Zählung.

Gerull: „Aus Daten müssen Taten werden“

Prof. Dr. Susanne Gerull, Armutsforscherin  und Professorin für Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit an der ASH Berlin, regte das Projekt an und stand dem Berliner Senat bei der Umsetzung der Wohnungslosenzählung beratend zur Seite. In den letzten 18 Monaten leitete sie eine Arbeitsgruppe, die das Konzept für die Zählung nach internationaler Best Practice entwickelt hat. Mit den Studierenden zweier Seminare nahm Susanne Gerull an der nächtlichen Zählung teil.

Auf der Pressekonferenz erinnerte sie daran, dass die Zählung aber nur ein Anfang sein kann: „Aus den Daten müssen aber Taten werden, d. h. es müssen die bisherigen Hilfeangebote auf ihre Passung überprüft werden – z. B. hinsichtlich ihrer Zielgruppe, aber auch Zugang und Erreichbarkeit. Wo nötig müssen neue Angebote entwickelt werden. Die Nacht der Solidarität bleibt also kein einmaliges Event, sondern ein nachhaltiger Prozess wird damit in Gang gesetzt.“

Die Zählung ist nur ein Auftakt – die von ihr koordinierte Arbeitsgruppe Wohnungsnotfallstatistik hat eine mehrstufige Statistik vorgeschlagen: Neben der Zählung fließe dort die Unterbringungsstatistik, wie sie die Bundesregierung zum Gesetz gemacht habe und an der sich Berlin beteiligen wird, ein. Zusätzlich soll über die freien Träger erfasst werden, wer tatsächlich auf der Straße lebt, wer couchsurft, wer ohne Mietvertrag bei Freunden und Verwandten schlafe oder wer in Kellern von Abbruchhäusern wohne – auch dies könne über die Zählung nicht ermittelt werden. Und auch die Räumungsstatistik, die Menschen erfasst, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind, müsse ins Spiel gebracht werden.

Die ersten Ergebnisse der Obdachlosenzählung werden auf einer Pressekonferenz am 7. Februar 2020 vorgestellt.

Prof. Susanne Gerull hat bereits im Februar 2019 an einer Wohnungslosenzählung in Paris teilgenommen. Ihren Bericht lesen Sie im Hochschulmagazin alice.