Forschung, Gesundheit Wo gibt es genügend Ärzte in Berlin?

Neues Gutachten zu den Einflussmöglichkeiten von ambulant unterversorgten Kommunen wie Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg und Treptow-Köpenick

Im Auftrag des Kommunalpolitischen Forums unter Leitung des Lichtenberger Bezirksbürgermeisters Michael Grunst haben Gesundheitswissenschaftler_innen der Berlin School of Public Health (ASH Berlin, TU Berlin, Charité – Universitätsmedizin Berlin) ein umfassendes Gutachten zur ambulanten ärztlichen Versorgung vorgelegt. Denn insbesondere in den Bezirken Marzahn-Hellersdorf, Treptow-Köpenick und Lichtenberg gibt es – nicht erst im Zuge der Pandemie – eine Unterversorgung an Haus- und Fachärzten.

Genau auf diese Kommunen fokussiert die Untersuchung mit dem Titel „Regionale ambulante Versorgung“ – begleitet wird sie von Empfehlungen für die Berliner Landespolitik. Erstellt wurde die Expertise von den Gesundheitswissenschaftler_innen Raimund Geene, Verena Vogt und Laurette Rasch von der Berlin School of Public Health, eine Einrichtung der Alice Salomon Hochschule Berlin, der Technischen Universität Berlin und der Charité – Universitätsmedizin Berlin.

Obwohl Deutschland eine der höchsten Ärzt_innendichten im internationalen Vergleich aufweist, bestehen ausgeprägte Unterschiede in der Verteilung zwischen den Regionen. Dies gilt nicht nur zwischen Stadt und Land, sondern auch innerhalb der Städte.


Dagmar Pohle: „mit dem Ziel gesundheitlicher Chancengleichheit nicht kompatibel“

Im Rahmen eines Online-Gesprächs mit den Wissenschaftler_innen beschreibt Dagmar Pohle, Bezirksbürgermeisterin in Marzahn-Hellersdorf, die Situation anschaulich: „Von zum Beispiel einer alleinerziehenden Mutter, die dringend einen kinderpsychiatrischen Termin braucht – die möglicherweise in einer geringfügigen Beschäftigung ist und Transferleistungen bezieht – zu erwarten, dass sie regelmäßig quer durch die Stadt nach Charlottenburg-Wilmersdorf fährt – was auch Kosten verursacht – weil der medizinische Versorgungsgrad sich dort der 200-Prozent-Marke nähert – das ist nicht zulässig und mit dem Ziel gesundheitlicher Chancengleichheit nicht kompatibel.“


Kommunen: Erster Ansprechpartner bei Problemen, aber wenig Handhabe

Laut Gutachten steht die Kommunalpolitik unter hohem Druck, weil von ihr die Sicherstellung einer breiten und niedrigschwelligen Versorgung erwartet wird. Wenn in der Bevölkerung Versorgungslücken wahrgenommen werden, sind Kommunalvertreter_innen die ersten Adressat_innen entsprechenden Unmuts. In den gesetzgeberischen Maßnahmen für die Sicherstellung der ambulanten Versorgung spielen sie bisher allerdings nur eine untergeordnete Rolle. Insbesondere im Land Berlin – mit seiner zweigestuften Kommunalfunktion bei den Bezirken und der landesweiten Senatsverwaltung – sind die kommunalen Handlungsmöglichkeiten deutlich begrenzt.

In diesem Rahmen bereitet die Expertise wissenschaftlich auf, welche Möglichkeiten der Einflussnahme Kommunen – insbesondere die Bezirke innerhalb Berlins – auf die Verbesserung des Zugangs zur ambulanten Versorgung haben. Nach einer Einführung in die gesetzlichen Rahmenbedingungen wird dargestellt, welche Rolle die Kommunale Gesundheitsplanung und -berichterstattung als Bindeglied zwischen Verwaltung, lokaler Bevölkerung und weiteren Akteur_innen der Gesundheitsversorgung übernehmen kann. Anschließend beleuchtet das Gutachten Modellprojekte, in denen die Kommunen bereits aktiv die ambulante Versorgung mitgesteuert haben und zeigt Möglichkeiten der kommunalen Einflussnahme auf die ärztliche Versorgung auf.


Kommunale Einflussnahme: Mühsam, aber lohnenswert

Im Fazit verweist das Gutachten darauf, dass der Kommunalpolitik eine wichtige Rolle dahingehend zukommt, regionale Steuerungsprozesse mit Maßnahmen der indirekten Politikgestaltung zu flankieren: durch Anreizsetzungen, aber auch durch Formen der öffentlichen Diskursivierung etwa über Fachexpertisen sowie Fachforen unter Bürger_innenbeteiligung, mit denen Fragen regionaler Bedarfe und Bedürfnisse breit thematisiert werden können.

Dazu Prof. Dr. Raimund Geene, Professor für Gesundheitsförderung und Prävention an der ASH Berlin / Berlin School of Public Health: „Der zivilgesellschaftliche Ansatz ist sehr wichtig. Wir sehen aber, dass die großen strukturgebenden Impulse über Beteiligungsformen, die auch institutionell verankert sind – also über die QPKs (Qualifizierungs-, Planungs- und Koordinierungsstellen) in den Bezirken oder die entsprechenden Gremien der Senatsverwaltung für Gesundheit – wesentlich zu schwach aufgestellt sind. Man muss sich wünschen, dass die Logik, die Zivilgesellschaft einzubinden – die unabweisbar richtig ist – sich viel schneller und stärker auch institutionell abbildet. Diese Strukturen müssen gestärkt werden.“

Die Beispiele zeigen, wie mühsam und aufwändig entsprechende Ansätze sind; sie verweisen aber zugleich auf substanzielle Erfolge, etwa hinsichtlich der verbesserten Versorgung für vulnerable Gruppen. Auch die Sicherstellung eines breiten Angebotes in oft unterversorgten Regionen und Sozialräumen, insbesondere bei spezialisierten Versorgungsangeboten mit hoher Nachfrage wie etwa einzelnen fachmedizinischen Angeboten, ist eine Aufgabe, denen die Kommune begegnen kann: mit einer Palette von öffentlicher Thematisierung über niedrigschwellige Anreizsysteme bis hin zu konkreten Rahmenvereinbarungen mit Verbänden. Laut den Gesundheitswissenschaftler_innen ein mühsames, aber im Ergebnis lohnendes Bemühen, das in entsprechenden Bilanzen kommunaler Tätigkeiten regelmäßig herausgestellt werden sollte.

Verena Vogt, Raimund Geene, Laurette Rasch
Regionale ambulante Versorgung
Einflussmöglichkeiten der kommunalen Hand auf die Verbesserung der ambulanten ärztlichen Versorgung unter Berücksichtigung einer wachsenden, alternden und zunehmend diversen Bevölkerung im Bezirk
Download der Expertise ►

Das Online-Gespräch mit den Wissenschaftler_innen sowie mit Michael Grunst (Bezirksbürgermeister Lichtenberg) und Dagmar Pohle (Bezirksbürgermeisterin Marzahn-Hellersdorf) kann hier nachverfolgt werden:
Online-Pressegespräch auf Youtube ►